01.09.2020 Zivilrecht

OGH: Nachforschungspflicht iZm offenkundiger Dienstbarkeit

In Übereinstimmung mit der Redlichkeitsvermutung des § 328 ABGB liegt die Beweislast für die Schlechtgläubigkeit des Erwerbers bei demjenigen, der außerbücherlich erworben hat, insbesondere daher für Wissen oder Wissenmüssen von der vom Grundbuchstand abweichenden Rechtslage oder für die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit; ist dem außerbücherlich Berechtigten allerdings der Nachweis einer unklaren Situation, die einen Anlass für Nachforschungen darstellt, gelungen, so trifft die Beweislast für die Durchführung der Recherchen und ihr Ergebnis den, der im Vertrauen auf den Grundbuchstand erworben haben will


Schlagworte: Ersitzung, Servitut, offenkundige Dienstbarkeit, Nachforschungspflicht, Schlechtgläubigkeit, Beweislast
Gesetze:

 

§§ 1452 ff ABGB, §§ 472 ff ABGB, § 1500 ABGB

 

GZ 9 Ob 14/20d, 25.06.2020

 

OGH: Richtig ist, dass ein Recht nur dann durch Ersitzung erworben werden kann, wenn nicht Sondervorschriften die Ersitzung ausschließen. Das in einem gesetzlichen Verbot der Nutzungsausübung liegende Ersitzungshindernis wird im Wesentlichen damit begründet, dass ein zwingenden Bestimmungen des öffentlichen Rechts widersprechender und damit rechtlich unmöglicher Sachgebrauch kein ersitzungsfähiger Gegenstand iSd § 1460 ABGB sein kann.

 

Die Frage, ob eine fehlende Benutzungsbewilligung eine Ersitzung hindern kann, muss im vorliegenden Fall aber nicht beantwortet werden. Die Kläger übergehen, dass gerade nicht festgestellt werden konnte, ob eine Baubewilligung besteht oder die diesbezüglichen Unterlagen nicht nur verloren gegangen sind. Rechtshemmende oder rechtsvernichtende Tatsachen sind aber vom Gegner des Ersitzungsbesitzers zu behaupten und zu beweisen. Die Negativfeststellung geht daher zu Lasten der Kläger.

 

Ein aus der Ersitzung oder Verjährung erworbenes Recht kann demjenigen, der im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher noch vor der Einverleibung desselben eine Sache oder ein Recht an sich gebracht hat, nicht zum Nachteil gereichen (§ 1500 ABGB). Dem gutgläubigen Erwerber kann somit der außerbücherliche Erwerb einer Dienstbarkeit nicht erfolgreich entgegengehalten werden. Der Grundsatz des Vertrauens auf das öffentliche Buch gilt aber nicht uneingeschränkt. Die Berufung auf die Gutgläubigkeit ist nur möglich, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren, vom Grundbuchstand abweichenden Sachverhalt erkennen lassen. Daher ist Gutgläubigkeit bei Offenkundigkeit der Dienstbarkeit zu verneinen.

 

Für den Begriff der offenkundigen Dienstbarkeit ist es wesentlich, ob man vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrnehmen kann, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen.

 

Soweit sich danach aus den besonderen Umständen Bedenken gegen die Vollständigkeit des Grundbuchstandes ergeben, müssen auch Nachforschungen vorgenommen werden. Der Umfang der Sorgfaltspflicht bestimmt sich nach der Verkehrsübung. Es genügt leichte Fahrlässigkeit. In Übereinstimmung mit der Redlichkeitsvermutung des § 328 ABGB liegt die Beweislast für die Schlechtgläubigkeit des Erwerbers bei demjenigen, der außerbücherlich erworben hat, insbesondere daher für Wissen oder Wissenmüssen von der vom Grundbuchstand abweichenden Rechtslage oder für die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit. Ist dem außerbücherlich Berechtigten allerdings der Nachweis einer unklaren Situation, die einen Anlass für Nachforschungen darstellt, gelungen, so trifft die Beweislast für die Durchführung der Recherchen und ihr Ergebnis den, der im Vertrauen auf den Grundbuchstand erworben haben will.

 

Die Kläger haben wie schon ihr unmittelbarer Rechtsvorgänger eine Liegenschaft mit einem Presshaus erworben, von dem Kellerröhren über die Grundstücksgrenze hinausführen. In der näheren Umgebung befindet sich eine Vielzahl weiterer Presshäuser, von denen anzunehmen war, dass sie vergleichbar angelegt sind. Um das Presshaus sind Dampfröhren zu sehen, die, wie auch den Klägern bekannt war, der Belüftung der Kellerröhren dienen.

 

Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass aufgrund dieser Gesamtsituation Bedenken gegen die Vollständigkeit des Grundbuchstands bestehen mussten und von einer Nachforschungspflicht der Kläger auszugehen ist, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

 

Darauf, dass den Klägern zum Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft der Kellerplan nicht bekannt war, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.