11.08.2020 Zivilrecht

OGH: Zur Arzthaftung (iZm überstehendem Nagel)

Die (indizierte) operative Versorgung des Schienbeinbruchs der Klägerin erfolgte nach den Regeln der ärztlichen Kunst, jedoch trat eine operationstypische (keinen Behandlungsfehler bildende) Komplikation insofern ein, als der vom Operateur gewählte Marknagel etwa 0,5 bis 1 cm oberhalb des Eintrittspunkts am knöchernen, körpernahen Ende des Schienbeins zu liegen kam; die Klägerin hätte sich allerdings auch operieren lassen, wenn ihr ausdrücklich gesagt worden wäre, dass der eingebrachte Nagel überstehen und Schmerzen verursachen könne; das Ergebnis der Vorinstanzen, dass die Beklagte den Beweis des rechtmäßigen Alternativverhaltens erbracht habe, weil sich die Klägerin auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung über das Risiko eines überstehenden Nagels jedenfalls zur Operation entschieden hätte, weckt keine Bedenken


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Arzthaftung, Aufklärungspflicht, überstehender Nagel
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB

 

GZ 8 Ob 26/20m, 27.05.2020

 

OGH: Der Arzt muss nicht stets von sich aus alle theoretisch in Betracht kommenden Behandlungs- oder Operationsmöglichkeiten mit dem Patienten erörtern, er muss ihn aber, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostische oder therapeutische adäquate Verfahren informieren und das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risken entstehen können und der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat; eine solche Verpflichtung besteht gerade bei einem Unterschied im Risiko, den Folgen, va aber in der Erfolgssicherheit und der Schmerzbelastung. Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls.

 

Nach den Feststellungen erfolgte die (indizierte) operative Versorgung des Schienbeinbruchs der Klägerin nach den Regeln der ärztlichen Kunst, jedoch trat eine operationstypische (keinen Behandlungsfehler bildende) Komplikation insofern ein, als der vom Operateur gewählte Marknagel etwa 0,5 bis 1 cm oberhalb des Eintrittspunkts am knöchernen, körpernahen Ende des Schienbeins zu liegen kam. Die Klägerin hätte sich allerdings auch operieren lassen, wenn ihr ausdrücklich gesagt worden wäre, dass der eingebrachte Nagel überstehen und Schmerzen verursachen könne.

 

Davon ausgehend kamen die Vorinstanzen zu dem Ergebnis, dass die Beklagte den Beweis des rechtmäßigen Alternativverhaltens erbracht habe, weil sich die Klägerin auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung über das Risiko eines überstehenden Nagels jedenfalls zur Operation entschieden hätte. Daran weckt die Klägerin mit ihrer Ansicht, sie hätte über verschiedene (intraoperative) Methoden der Vermessung des Nagels aufgeklärt werden müssen, keine Bedenken, schon weil feststeht, dass auch die vom Hersteller empfohlene Methode zur Bestimmung der Nagellänge „keine hundertprozentige Zuverlässigkeit“ bewirkt und „Ungenauigkeiten jedenfalls eintreten können“. Ein – eine eigene Aufklärungspflicht auslösender – Unterschied im Risiko ist damit nicht dargetan und wird von der Klägerin auch gar nicht konkret behauptet, die nur ganz allgemein die Gleichwertigkeit der vom Operateur gewählten und der vom Hersteller empfohlenen Messmethode anzweifelt.