04.08.2020 Zivilrecht

OGH: Zum Anspruch auf Erhaltung der Ehewohnung

Der Wohnungserhaltungsanspruch nach § 97 ABGB an der ehelichen Wohnung ist nicht davon abhängig, ob das genutzte Objekt sich in einem Bereich befindet, der nach der Raumordnung zu Wohnzwecken gewidmet ist


Schlagworte: Eherecht, Baurecht, Ehegatte, Anspruch auf Erhalt der Ehewohnung, Anspruch gegen Dritte, Verletzung fremder Forderungsrechte, Raumordnung, Benützungsbewilligung
Gesetze:

 

§ 97 ABGB, § 13 NÖ ROG

 

GZ 8 Ob 44/19g, 18.05.2020

 

OGH: Der sich aus § 97 ABGB ergebende familienrechtliche Anspruch auf Wohnungsschutz regelt einen Teilaspekt der ehelichen Beistandspflicht, nämlich die Verpflichtung des über die Wohnung verfügungsberechtigten Ehegatten, alles zu tun und zu unterlassen, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliert.

 

Ausnahmsweise können Ansprüche aus § 97 ABGB auch gegen Dritte geltend gemacht werden, wenn diese dolos mit dem verfügungsbefugten Ehegatten zusammenwirken. Schlechtgläubigkeit des Dritten liegt nicht erst bei arglistigem Zusammenwirken mit dem über die Wohnung verfügenden Ehegatten vor, sondern schon dann, wenn der Dritte Kenntnis vom dringenden Wohnbedürfnis des auf die Wohnung angewiesenen anderen Ehegatten hat oder bei gehöriger Aufmerksamkeit Kenntnis haben musste. Das fremde Forderungsrecht, in das eingegriffen wird, ist der sich aus § 97 ABGB ergebende Wohnungserhaltungsanspruch. Gegen den Dritten besteht ein klagbarer Anspruch auf Unterlassung des bewussten Eingriffs in ein fremdes Forderungsrecht bzw eine nachträgliche Verpflichtung zum Schadenersatz durch Naturalrestitution. Der Ehegatte, der ein dringendes Wohnbedürfnis hat, kann dem Dritten, etwa im Fall einer Räumungsklage seinen familienrechtlichen Wohnungsbewahrungsanspruch mit Erfolg entgegenhalten.

 

Hier argumentiert der Dritte in seiner Klage damit, dass es sich bei der Liegenschaft, auf der sich die zu räumende Ehewohnung befindet, um Bauland-Industriegebiet iSd Nö ROG handelt, in dem Wohngebäude sowie eine Wohnungsnutzung nicht zuzulassen sind. Der Wohnungserhaltungsanspruch sei daher nichtig, die Berufung der Beklagten darauf rechtsmissbräuchlich.

 

Durch die Raumordnungsgesetze der Länder sollen räumliche Entwicklungsziele festgelegt werden. Im Rahmen überörtlicher Raumordnungsprogramme hat die Gemeinde ein örtliches Raumordnungsprogramm aufzustellen, in dem sie Planungsziele festlegen und jene Maßnahmen zu bezeichnen hat, die zur Erreichung dieser Ziele gewählt werden (§ 13 Nö ROG). Dies hat jedoch keinen unmittelbaren Einfluss auf privatrechtliche Vereinbarungen. Der Wohnungserhaltungsanspruch nach § 97 ABGB an der ehelichen Wohnung ist nicht davon abhängig, ob das genutzte Objekt sich in einem Bereich befindet, der nach der Raumordnung zu Wohnzwecken gewidmet ist.