OGH: Zum Anwendungsbereich des FAGG („Selbstabholung“)
Ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem iSd § 3 Z 2 FAGG setzt kein organisiertes Versandsystem voraus
§ 3 FAGG, §§ 11 f FAGG
GZ 6 Ob 36/20t, 20.05.2020
OGH: Die Definition des Fernabsatzvertrags wurde vom Gesetzgeber von der Rl 2011/83/EU bzw 97/7/EG (Verbraucherrechte-RL) übernommen und gibt im Wesentlichen die Definition des § 5a Abs 1 KSchG aF wieder. Von ihr sollten alle Fälle erfasst sein, „in denen ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher im Rahmen eines für die Lieferung im Fernvertrieb organisierten Verkaufs- oder Dienstleistungserbringungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/werden“. Als Beispiel werden die postalische Bestellung, Webshops, telefonische Bestellungen oder Telefax genannt. Das wesentliche Element soll die Vertragsverhandlung darstellen. Ausdrücklich von der Einordnung als Fernabsatzvertrag ausgeschlossen wurden hingegen Verträge, welche in den Geschäftsräumen des Unternehmers verhandelt, aber über ein Fernkommunikationsmittel geschlossen wurden, und Verträge, welche über ein Fernkommunikationsmittel angebahnt, aber in den Geschäftsräumen des Unternehmers abgeschlossen wurden.
Der Begriff eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems soll auch von einem Dritten angebotene Fernabsatz- oder Dienstleistungssysteme erfassen, die von Unternehmern verwendet werden, wie etwa eine Online-Plattform. Dies alleine deckt das infrage kommende Spektrum jedoch nicht ab. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Unternehmer seinen Vertrieb organisatorisch - zumindest auch - auf einen regelmäßigen Absatz per Distanzgeschäft (Fernabsatz) ausgerichtet hat, wofür auch ein von ihm selbst eingerichtetes derartiges System ausreichen kann. Erfasst werden etwa Websites mit Bestellmöglichkeit, Onlineshops, telefonische oder sonst automatisierte Bestellmöglichkeiten und Warenrücknahmen, Callcenter, Warenkataloge mit Bestellkarten, Teleshopping ua. Auch Bestellungen an Online-Terminals in den Geschäftsräumen des Unternehmers können darunter fallen, wenn mit ihnen keine Möglichkeit zur persönlichen Beratung und/oder Hilfestellung einhergeht. Es genügt, wenn der Vertrieb zumindest zum Teil im Fernabsatz erfolgen kann (zB Geschäftslokal und Online-Verkauf). Nicht ausreichend sind aber Websites mit den Daten und dem Leistungsumfang, wenn sie nur der Information des Verbrauchers und der Möglichkeit einer Kontaktaufnahme dienen, darüber hinaus aber für den Geschäftsabschluss eine persönliche Kontaktaufnahme und ein Ausverhandeln des konkreten Vertragsgegenstands und der Vertragskonditionen erforderlich sind. Hingegen reichen nach der Rsp Homepages für Warenvertrieb mit Produktpräsentation aus.
Ob die Kommunikation nach dem Vertragsabschluss oder die Erfüllung des Vertrags ebenfalls in Distanz oder - wie oft bei Lieferung der Ware durch den Unternehmer oder Selbstabholung durch den Verbraucher - unter persönlichem Kontakt der Vertragsparteien erfolgt, spielt keine Rolle, weil das Gefahrenpotenzial des Fernabsatzes (Entscheidung über physisch nicht zu begutachtende Ware, fehlende oder eingeschränkte Beratung) nach dem Vertragsabschluss nicht mehr gegeben ist.