07.04.2020 Zivilrecht

OGH: Zum Rücktritt von Versicherungsverträgen (Lebensversicherung)

Es schadet nicht, wenn die dem VN erteilte Belehrung über sein Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG aF insofern unrichtig war, als auf das Zustandekommen und nicht auf die Verständigung davon Bezug genommen wurde


Schlagworte: Versicherungsvertragsrecht, Lebensversicherung, Rücktritt, unrichtige Belehrung, Beginn der Rücktrittsfrist, Zustandekommen des Vertrags, Rückabwicklung
Gesetze:

 

§ 861 ABGB, § 165a VersVG aF, § 178 VersVG aF, Art. 15 RL 90/619

 

GZ 7 Ob 6/20p, 19.02.2020

 

OGH: Vorliegend enthielt das Antragsformular des VU über die Rücktrittsrechte des VN nach § 165a VersVG aF den Hinweis: „Es besteht ein Rücktrittsrecht von 30 Tagen ab Zustandekommen des Vertrages.“ Dieser Hinweis entsprach den Anforderungen des Art 15 Abs 1 der 2. RL Lebensversicherung 90/619 und dem § 165a Abs 1 VersVG aF insofern nicht, als für den Fristbeginn auf das Zustandekommen des Vertrags, nicht jedoch auf die Verständigung des VN von diesem Umstand Bezug genommen wurde.

 

Der Versicherungsvertrag ist grundsätzlich formfrei und kann auch schlüssig oder mündlich abgeschlossen oder geändert werden. Er kommt - wie Verträge im Allgemeinen - grundsätzlich durch das Anbot und dessen Annahme zustande (§ 861 ABGB). Für den Abschlusszeitpunkt von Verträgen kommt es daher regelmäßig auf den Zugang der (Annahme-)Erklärung an. Verwendet das VU ein vom Interessenten an einem ihrer Produkte auszufüllendes und bei ihr einzureichendes Antragsformular, so ist es dem durchschnittlichen VN schon nach allgemeinen Grundsätzen verständlich, dass sein Antrag eine Annahme erfordert und dass damit der Vertrag zustande kommt. Dies ergibt sich auch schon allgemein verständlich aus dem Begriff „Antrag“. Ein Antrag kann nicht ohne Annahmeerklärung des Vertragspartners ein Vertrag sein. Für diesen Fall ist der für den VN von seinem Empfängerhorizont wahrnehmbare Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses jener des Zugangs der Polizze. Damit ist für den durchschnittlichen, redlichen und vernünftigen VN der Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags und damit der Beginn der Rücktrittsfrist mit Zugang der Annahme seines Anbots durch den Versicherer klar. Der Zugang der Polizze als wirksame Annahme des Versicherungsantrags ist daher gleichzeitig die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags.

 

Dass in der Belehrung auf das Zustandekommen und nicht auf die Verständigung davon Bezug genommen wurde, ist daher insofern unschädlich, als dem VN klar sein musste, ab welchem Zeitpunkt die - der Dauer nach dem Unionsrecht ebenso wie dem § 165a VersVG aF entsprechende – Rücktrittsfrist zu laufen begonnen hat, und ihm dadurch nicht die Möglichkeit genommen wurde, unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Information sein Rücktrittsrecht auszuüben.