OGH: Zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei der Beschlussanfechtung (AktG)
Erlischt die AG während des Anfechtungsprozesses (hier durch Verschmelzung), so versteht sich das Rechtsschutzinteresse des Anfechtungsklägers nicht mehr von selbst, sofern der angefochtene Beschluss nicht in der übernehmenden Gesellschaft fortwirkt
§ 196 AktG, § 199 AktG, § 228 ZPO
GZ 6 Ob 113/19i, 19.12.2019
OGH: Gem § 196 Abs 1 Z 1 AktG ist zur Anfechtung jeder Aktionär befugt, der an der Hauptversammlung teilgenommen hat und gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat. Zur Erhebung der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage bedarf es grundsätzlich keines individuellen Rechtsschutzbedürfnisses; die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ist davon unabhängig, ob der Kläger durch den geltend gemachten Anfechtungsgrund in seiner Rechtssphäre betroffen ist. Der Gesetzgeber gesteht den Aktionären vielmehr bereits aufgrund ihrer Mitgliedschaft ein besonderes Recht auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Willensbildung der AG zu. Am Anfechtungsinteresse fehlt es jedoch ausnahmsweise dann, wenn die Nachprüfung des Hauptversammlungsbeschlusses für niemanden mehr rechtlich bedeutsam sein kann. Ein nachträglicher Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses liegt zB vor, wenn die Anfechtung eines Wahlbeschlusses fortgeführt wird, obwohl das fehlerhaft gewählte Mitglied die Annahme des Amts abgelehnt hat, oder der angefochtene Beschluss von der Hauptversammlung widerrufen oder rechtswirksam bestätigt wurde.
Erlischt die AG während des Anfechtungsprozesses, weil sie auf eine andere Gesellschaft verschmolzen wird, ist aufgrund der eingetretenen Gesamtrechtsnachfolge die Parteienbezeichnung zu berichtigen. Diesfalls versteht sich das Rechtsschutzinteresse des Anfechtungsklägers aber nicht mehr von selbst, denn die gerügte Gesetz- oder Satzungswidrigkeit bezieht sich auf die Verhältnisse einer AG, die es nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in ihrer bei der Beschlussfassung vorhandenen Gestalt gibt. Daraus wird abgeleitet, dass das Rechtsschutzinteresse des Anfechtungsklägers entfällt, sofern der angefochtene Beschluss nicht in der übernehmenden Gesellschaft fortwirkt, was im Einzelfall zu prüfen ist. Daher wird ein Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses etwa für eine Klage gegen die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der übertragenden Gesellschaft angenommen, da die Organe der übertragenden Gesellschaft nicht mehr existieren und es keinen Sinn ergibt, ihre Geschäftsführung für die Vergangenheit zu billigen oder ihnen das Vertrauen für die Zukunft auszusprechen; um die Klageabweisung zu vermeiden, muss der Kläger das Begehren auf Kosten einschränken.
Dies gilt im Kern auch für die Nichtigkeitsklage gem § 201 AktG: Die von den in § 201 AktG genannten Personen erhobene, auf die in § 199 AktG genannten Gründe gestützte Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses erfordert als materiell-rechtliche Feststellungsklage nicht den Nachweis eines Feststellungsinteresses iSd § 228 ZPO. Auch bei der Nichtigkeitsklage kann aber das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.