OGH: Zur stillschweigenden Abtretung von Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen
Wird im Kaufvertrag über eine Liegenschaft der Gewährleistungsverzicht auf bestimmte Mängel eingeschränkt, bleiben dem jeweiligen Käufer vom Verzicht nicht erfasste Schadenersatzansprüche erhalten und es liegt keine stillschweigende Abtretung von Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen vor
§ 863 ABGB, § 914 ABGB, §§ 922 ff ABGB, §§ 1295 ff ABGB, § 1392 ABGB
GZ 10 Ob 56/19m, 15.10.2019
OGH: Enthält ein Liegenschaftskaufvertrag nicht nur die Bestimmung, dass das Kaufobjekt auf den Käufer mit sämtlichen Rechten und Vorteilen übergeht, mit denen es der Verkäufer besessen hat oder zu besitzen berechtigt war, sondern auch einen allgemeinen Gewährleistungsausschluss, so nimmt die Rsp idR eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend vor, dass dem Käufer auch alle bei Vertragsabschluss unbekannten Gewährleistungs- und Schadenersatzforderungen des Verkäufers (zB aus einem Werkvertrag mit einem Dritten) abgetreten werden. Eine solche ergänzende Vertragsauslegung wird va dort als angezeigt angesehen, wo an eine konkrete Beeinträchtigung der Liegenschaft gar nicht gedacht ist und diese bei der Kaufpreisbildung nicht berücksichtigt wurde oder werden konnte. Diese Abtretungskonstruktion setzt aber voraus, dass der Käufer aufgrund eines umfassenden Gewährleistungsausschlusses Mängel nicht gegenüber seinem Vertragspartner, dem Verkäufer, geltend machen kann. Ähnliches gilt im Fall einer Schadensverlagerung, weil dann der Schaden anstatt beim Verkäufer, der keinen Gewährleistungsansprüchen und - wenn er nicht sorgfaltswidrig gehandelt hat - auch keinen Schadenersatzansprüchen ausgesetzt ist, zur Gänze beim Käufer eintritt.
Ein umfassend vereinbarter Gewährleistungsausschluss erstreckt sich grundsätzlich auch auf geheime Mängel und solche, die gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaften betreffen, nicht aber auf das Fehlen zugesicherter Eigenschaften. Die Reichweite einer Ausschlussvereinbarung ist durch Auslegung im Einzelfall nach der Absicht der Parteien und der Übung des redlichen Verkehrs zu ermitteln. Der OGH hat einen umfassenden, auch geheime Mängel erfassenden Gewährleistungsverzicht verneint, wenn ein zunächst an sich generell gefasster Gewährleistungsausschluss durch den Hinweis auf die stattgefundene Besichtigung einer Liegenschaft sowie die darauf beruhende Kenntnis des Käufers vom Zustand und durch Formulierungen „der Verkäufer haftet nicht für eine besondere Beschaffenheit, Flächenmaß und Bauzustand“ eingeschränkt wird.
Hier haben die Wohnungseigentümer in ihren Kaufverträgen gegenüber dem Verkäufer nicht auf sämtliche Gewährleistungsansprüche iZm den der Klage zugrunde gelegten Baumängeln verzichtet. Damit fehlt das Kriterium, das die Rsp für eine stillschweigende Abtretung von dem Verkäufer gegen seinen Vertragspartner zustehenden Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen an den Käufer als entscheidend ansieht. Dabei ist nicht zwischen primär auf Verbesserung gerichteten Gewährleistungsbehelfen und Schadenersatzansprüchen zu differenzieren. Wird nach der Parteienabsicht die Haftung des Verkäufers für jeglichen Mangel umfassend ausgeschlossen, gibt es keine Gewährleistungspflichten, die er schuldhaft verletzen könnte. Wenn hingegen - so wie hier - der Gewährleistungsverzicht auf bestimmte Mängel eingeschränkt wird, bleiben dem jeweiligen Käufer insoweit auch vom Verzicht nicht erfasste Schadenersatzansprüche erhalten.