OGH: Zur Frage, ob die Rsp, wonach eine ordentliche Kündigung eines Baurechtsvertrags gar nicht oder eine außerordentliche Kündigung nur unter strengen Voraussetzungen möglich ist, auch auf unentgeltlich begründete Baurechtsverträge anzuwenden ist oder dafür geringere Anforderungen gelten
Die Bestandsgarantie des § 4 Abs 2 BauRG dient nicht nur dem Schutz der Gläubiger und des Bauberechtigten, sondern kommt auch dem Baurechtsgeber zugute; es mag zutreffen, dass eine Baurechtseinräumung anders als hier idR entgeltlich erfolgt; der Beklagte führt aber nicht aus, warum der genannte Gesetzeszweck bei unentgeltlichen Baurechtsverträgen nicht gelten sollte; er legt auch nicht dar, dass die geschützten Interessenlagen der Parteien des Baurechtsvertrags – Bestandinteresse des Bauberechtigten einerseits, Interesse des Baurechtsgebers, kein Eigentümerbaurecht aufgedrängt zu bekommen, andererseits – nur im Fall einer Entgeltlichkeit des Baurechts gegeben wären; das Gesetz unterscheidet auch nicht zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Baurechtsverträgen
§ 4 BauRG
GZ 9 Ob 32/19z, 23.09.2019
OGH: Nach der bereits vom Erstgericht zitierten Rsp ist die Zulässigkeit vorzeitiger Kündigungs- und Auflösungsvereinbarungen zugunsten des Baurechtsnehmers mit dem Baurecht nur insoweit vereinbar, als die vereinbarten Gründe an Gewicht den in § 4 Abs 2 BauRG normierten Erlöschungsgrund erreichen. Auch Dauerrechtsverhältnisse sind bei Unzumutbarkeit ihrer Fortsetzung für den Rechtsgeber – auch ohne diesbezügliche Vereinbarung – aus wichtigem Grund auflösbar, wobei die für das Auflösen eines dinglichen Rechts in Betracht kommenden Gründe ein höheres Gewicht haben müssen als jene, die für die Auflösbarkeit von Dauerschuldverhältnissen genügen. Um die geforderte Schwere zu erreichen, müsste die Auflösung des Baurechtsvertrags die einzige Möglichkeit sein, um den Missstand beseitigen zu können, da eine Unterlassungsklage nicht ausreichen würde.
Bereits in der Entscheidung 5 Ob 152/03v wurde weiter festgehalten, „dass grundsätzlich eine unterschiedliche Betrachtung der Kündigungsmöglichkeit des Baurechtsgebers und des Baurechtsnehmers nicht angebracht ist. Dagegen spricht auch die interessenneutrale Formulierung der in § 4 BauRG festgeschriebenen Bestandsicherung des Baurechts durch das Verbot einer auflösenden Bedingung (zu wessen Gunsten auch immer).
Dass in der bisherigen Rsp bei Auslegung des § 4 BauRG aus Anlass der Prüfung von Auflösungs- oder Kündigungsvereinbarungen zugunsten des Baurechtsgebers mit den diesfalls im Vordergrund stehenden Interessen des Bauberechtigten argumentiert wurde, ergab sich aus den entsprechenden Fallkonstellationen. Nichts spricht dagegen, auch Interessen des Rechtsgebers ins Kalkül zu ziehen, wenn eine Auslegung des § 4 BauRG infolge einer dem Baurechtsnehmer im Vertrag eingeräumten vorzeitigen Auflösungsmöglichkeit vorzunehmen ist. Unberechtigt ist die Annahme, der Bauberechtigte sei idR der wirtschaftlich Schwächere, dem der Baurechtsbesteller vertragliche Auflösungsgründe diktieren könne. … Dazu kommt, dass im Fall der vorzeitigen Auflösung eines Baurechtsverhältnisses dem Liegenschaftseigentümer ein Eigentümerbaurecht aufgedrängt würde, das keineswegs in seinem Sinne liegen muss. …
Als Ergebnis dieser Überlegungen gilt, dass auch die Zulässigkeit vorzeitiger Kündigungs- oder Auflösungsvereinbarungen zugunsten des Baurechtsnehmers mit dem Baurecht nur so weit vereinbar sind, als die vereinbarten Gründe an Gewicht den in § 4 Abs 2 BaurG normierten Erlöschungsgrund erreichen“.
Diesem Gesetzeszweck entsprechend darf die Dauer des Baurechts auch nicht durch den Vorbehalt von Kündigungs- oder Auflösungsvereinbarungen im Ungewissen bleiben. Dementsprechend ist auch die Vereinbarung einer ordentlichen Kündigung in Baurechtsverträgen unzulässig.
Nach der Rsp ist daher nicht fraglich, dass die Bestandsgarantie des § 4 Abs 2 BauRG nicht nur dem Schutz der Gläubiger und des Bauberechtigten dient, sondern auch dem Baurechtsgeber zugute kommt.
Es mag zutreffen, dass eine Baurechtseinräumung anders als hier idR entgeltlich erfolgt. Der Beklagte führt aber nicht aus, warum der genannte Gesetzeszweck bei unentgeltlichen Baurechtsverträgen nicht gelten sollte. Er legt auch nicht dar, dass die geschützten Interessenlagen der Parteien des Baurechtsvertrags – Bestandinteresse des Bauberechtigten einerseits; Interesse des Baurechtsgebers, kein Eigentümerbaurecht aufgedrängt zu bekommen, andererseits – nur im Fall einer Entgeltlichkeit des Baurechts gegeben wären. Das Gesetz unterscheidet auch nicht zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Baurechtsverträgen. Insbesondere ist auch die gesetzliche Entschädigungspflicht gegenüber dem Bauberechtigten bei Erlöschen des Baurechts nicht von einer Entgeltlichkeit der Baurechtseinräumung abhängig (§ 9 Abs 2 BauRG). Das zentrale Argument des Beklagten ist in diesem Zusammenhang lediglich, dass sich der Kläger freiwillig seines Rechts begeben habe. Dies betrifft aber nicht die Frage der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit des Baurechtsvertrags.
Ob demgegenüber nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, stellt idR keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar. Das ist auch hier nicht der Fall. Bedenkt man, dass ein unentgeltlicher Verzicht auf eine Rechtsausübung nur anzunehmen ist, wenn sich der Verzicht aus der Erklärung unzweifelhaft ergibt oder nach völlig eindeutiger Sachlage nicht anders verstanden werden kann, so ist die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes – der den Beklagten allein zum Investersatz verpflichtet hätte – auf sein Baurecht verzichten wollte, vertretbar.