02.09.2019 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob ein bloßer Bote als Dritter iSd § 875 ABGB zu werten ist

Für die Zurechnung einer Person als Verhandlungsgehilfe iSd § 875 ABGB bedarf es eines besonderen Zurechnungselements; dieses Element besteht darin, dass die Person „auf der Seite des Erklärungsgegners“ (Geschäftspartners des Irrenden) und damit für diesen auftritt; dazu muss er vom Erklärungsgegner mit der Verhandlungsführung beauftragt oder mit einem bestimmten Aufgabenbereich, zu dem die Verhandlungsführung zählt, betraut worden sein (Interessenverfolgung)


Schlagworte: Irrtumsanfrechtung, Dritte, Verhandlungsgehilfe, Bote
Gesetze:

 

§ 875 ABGB

 

GZ 8 Ob 52/19h, 24.07.2019

 

OGH: Zu der Frage, ob der Vertreter der Lieferantin der Klägerin irrtumsrechtlich als Verhandlungsgehilfe zuzurechnen, oder ob er als Dritter iSd § 875 ABGB zu qualifizieren ist, hat der OGH jüngst in der Entscheidung 4 Ob 41/19m Stellung genommen, der ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag. Dort hat der OGH ausgeführt, dass die Kriterien zur Beurteilung dieser Frage in der (auch aktuellen) Rsp geklärt sind.

 

Nach hA ist eine Person, deren sich ein Teil im Rahmen von Vertragsverhandlungen als Gehilfe bedient, nicht Dritter iSd § 875 ABGB. Als Gehilfe kommt in Betracht, wer auf der Seite des Erklärungsgegners steht und maßgeblich am Zustandekommen des Geschäfts mitgewirkt hat, sofern seine Erklärung zu seinem Aufgabenbereich gehört. Der den Irrtum Veranlassende muss nicht Stellvertreter des Geschäftsherrn bzw mit Vollmacht oder Anscheinsvollmacht ausgestattet sein, er muss vom Geschäftsherrn aber jedenfalls mit der Verhandlungsführung beauftragt sein. Derjenige, der sich bei der Führung von Vertragsverhandlungen eines solchen Gehilfen bedient, haftet für einen von diesem veranlassten Irrtum wie für einen von ihm selbst veranlassten.

 

Wie der OGH zu 4 Ob 41/19m unter ausführlicher Auseinandersetzung mit den auch in der vorliegenden Revision zitierten Entscheidungen 7 Ob 639/85, 6 Ob 507/95, 8 Ob 76/06v, 6 Ob 24/10p, 1 Ob 5/04y, 4 Ob 129/12t und 2 Ob 112/00k hervorgehoben hat, bedarf es nach diesen Grundsätzen für die Zurechnung einer Person als Verhandlungsgehilfe iSd § 875 ABGB eines besonderen Zurechnungselements. Dieses Element besteht darin, dass die Person „auf der Seite des Erklärungsgegners“ (Geschäftspartners des Irrenden) und damit für diesen auftritt. Dazu muss er vom Erklärungsgegner mit der Verhandlungsführung beauftragt oder mit einem bestimmten Aufgabenbereich, zu dem die Verhandlungsführung zählt, betraut worden sein (Interessenverfolgung).

 

Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Lieferantin im Anlassfall nicht mit der Verhandlungsführung für die Klägerin beauftragt war, sondern dieser lediglich eine bloße Botentätigkeit zukam, weshalb sie der Klägerin nicht als Verhandlungsgehilfin zuzurechnen ist, hält sich im Rahmen dieser Rsp.

 

Nach den Feststellungen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Mitarbeiter der Lieferantin (der auch als solcher auftrat) Verhandlungsgehilfe der Klägerin gewesen wäre. Erst nachdem sich die Beklagte zur Anschaffung des Geräts entschieden hatte, wurde die Finanzierungsanfrage im Rahmen eines sale-and-lease-back-Geschäfts an die Klägerin gestellt; bis dahin war die Klägerin in das Geschäft nicht involviert. Die Lieferantin war auch nicht vorab zum Zweck der Vermittlung mit Formularen oder Geschäftsunterlagen der Klägerin ausgestattet oder gar zum Vertragsabschluss ermächtigt. In der Folge wurden die bereits ausgefüllten Vertragsunterlagen von der Klägerin nur zum Zweck an die Lieferantin übermittelt, diese von der Beklagten unterfertigen zu lassen. Aus den Feststellungen ergibt sich nicht, dass die Lieferantin mit der Verhandlungsführung oder der Erteilung von Informationen zum Leasinggeschäft beauftragt war. Vielmehr war, worauf auch das Berufungsgericht hingewiesen hat, nach den Bestimmungen des Leasingvertrags der Lieferant ausdrücklich nicht berechtigt, Erklärungen für die Klägerin abzugeben oder entgegenzunehmen.