VwGH: § 229 BVergG 2006 – Ausschluss iZm Insolvenzverfahren
Im Hinblick auf die Übernahme der sekundärrechtlichen Regelung im BVergG 2006 sind die jeweiligen Begriffe unter Beachtung des Unionsrechts auszulegen; es ist daher nicht zu beanstanden, dass das VwG für die Frage des Vorliegens eines Insolvenzverfahrens nach italienischem Recht auch die Bestimmungen der Verordnung 2015/848/EU über Insolvenzverfahren herangezogen hat; gem ihrem Art 1 Abs 1 gilt diese Verordnung für Verfahren, in denen zur Rettung, Schuldenanpassung, Reorganisation oder Liquidation (ua) dem Schuldner die Verfügungsgewalt über sein Vermögen ganz oder teilweise entzogen und ein Verwalter bestellt wird oder in denen das Vermögen des Schuldners der Aufsicht durch ein Gericht unterstellt wird; zur Auflistung der Verfahren wird auf Anhang A verwiesen; auch aus der Definition des Art 2 Z 3 sowie aus Erwägungsgrund 10 der Verordnung 2015/848/EU lässt sich ableiten, dass in einem Insolvenzverfahren nicht unbedingt ein Verwalter (iSd Anhangs B dieser Verordnung) bestellt werden muss; ausgehend davon kann Art 2 Z 7 der Verordnung 2015/848/EU - entgegen der Auffassung der Revisionswerberin - aber nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die darin definierte "Eröffnung eines Insolvenzverfahrens" das kumulative Vorliegen beider darin genannter Entscheidungen (nach Ziffer i und ii) erfordert; Art 45 Abs 2 Unterabs 1 Buchst b der Richtlinie 2004/18 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren, wonach ein Wirtschaftsteilnehmer vom Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden darf, wenn er zum Zeitpunkt der Ausschlussentscheidung bereits einen Antrag auf Eröffnung eines Zwangsvergleichs gestellt und sich dabei die Möglichkeit vorbehalten hatte, einen Plan zur Fortführung der Tätigkeit vorzulegen, nicht entgegensteht; aus dem Umstand, dass das BVergG 2006 (ebenso wie die Vergaberichtlinien) bei den Ausschlussgründen ausdrücklich - und ungeachtet der ohnehin im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit normierten Anforderungen - auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abstellt, ist abzuleiten, dass im Zuge der Prüfung dieses Ausschlussgrundes keine inhaltliche Prognoseentscheidung über die finanzielle Leistungsfähigkeit vorzunehmen, sondern formal die Frage des Vorliegens eines eröffneten (und noch aufrechten) Insolvenzverfahrens zu klären ist
§ 229 BVergG 2006, § 164 BVergG 2006, § 72 BVergG 2006, Art 57 der Richtlinie 2014/24/EU, Art 2 Z 7 der Verordnung 2015/848/EU
GZ Ra 2018/04/0161, 26.06.2019
VwGH: In der Revision wird der Annahme des VwG, es handle sich bei der Revisionswerberin um eine Sektorenauftraggeberin nach § 164 BVergG 2006, nicht entgegengetreten. Nach dem hier (noch) maßgeblichen § 229 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 BVergG 2006 haben Sektorenauftraggeber gem § 164 BVergG 2006 Unternehmer von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen, wenn über ihr Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Art 57 der Richtlinie 2014/24/EU, auf den in Art 80 der (für den Sektorenbereich maßgeblichen) Richtlinie 2014/25/EU verwiesen wird, nennt in seinem Abs 4 Buchst b als Ausschlussgrund (ua) den Umstand, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer in einem Insolvenzverfahren, in einem Vergleichsverfahren oder aufgrund eines in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen gleichartigen Verfahrens in einer vergleichbaren Lage befindet. Eine nähere Definition, wann von einem (eröffneten) Insolvenzverfahren auszugehen ist, enthalten weder das BVergG 2006 noch die genannten Vergaberichtlinien. Der - für klassische öffentliche Auftraggeber maßgebliche - § 72 Abs 1 Z 2 BVergG 2006 (der Sektorenteil des BVergG 2006 enthielt noch keine Auflistung der zulässigen Nachweise) nennt als Nachweis für Ausschlussgründe neben bestimmten innerstaatlichen Bescheinigungen auch eine gleichwertige Bescheinigung einer Behörde des Herkunftslandes des Unternehmers.
Im Hinblick auf die Übernahme der sekundärrechtlichen Regelung im BVergG 2006 sind die jeweiligen Begriffe unter Beachtung des Unionsrechts auszulegen. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das VwG (wie auch die weiteren Verfahrensparteien) für die Frage des Vorliegens eines Insolvenzverfahrens nach italienischem Recht auch die Bestimmungen der Verordnung 2015/848/EU über Insolvenzverfahren herangezogen hat. Gem ihrem Art 1 Abs 1 gilt diese Verordnung für Verfahren, in denen zur Rettung, Schuldenanpassung, Reorganisation oder Liquidation (ua) dem Schuldner die Verfügungsgewalt über sein Vermögen ganz oder teilweise entzogen und ein Verwalter bestellt wird oder in denen das Vermögen des Schuldners der Aufsicht durch ein Gericht unterstellt wird. Zur Auflistung der Verfahren wird auf Anhang A verwiesen. Auch aus der Definition des Art 2 Z 3 sowie aus Erwägungsgrund 10 der Verordnung 2015/848/EU lässt sich ableiten, dass in einem Insolvenzverfahren nicht unbedingt ein Verwalter (iSd Anhangs B dieser Verordnung) bestellt werden muss. Ausgehend davon kann Art 2 Z 7 der Verordnung 2015/848/EU - entgegen der Auffassung der Revisionswerberin - aber nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die darin definierte "Eröffnung eines Insolvenzverfahrens" das kumulative Vorliegen beider darin genannter Entscheidungen (nach Ziffer i und ii) erfordert.
Dass mit dem vom VwG genannten Beschluss des Tribunale di Roma vom 15. Jänner 2018 drei Personen zu Gerichtskommissaren ("commissari giudiziali") und somit Verwaltern iSd Verordnung 2015/848/EU bestellt worden sind, ist unstrittig. Schon ausgehend davon ist diese Entscheidung als eine solche zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens iSd genannten Norm anzusehen.
Darüber hinaus ist zur Frage, ob mit einem - wie hier von C eingebrachten - Antrag nach Art 161 Abs 6 des italienischen Insolvenzgesetzes (Königliches Dekret Nr 267 vom 16. März 1942) ein Insolvenzverfahren als eröffnet gilt, auf das (wenn auch noch zum Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG ergangene) Urteil des EuGH vom 28. März 2019, Idi Srl, C-101/18, zu verweisen. Darin hat sich der EuGH mit der Frage der Zulässigkeit eines Ausschlusses eines italienischen Unternehmers befasst, der - wie hier - einen Antrag nach Art 161 Abs 6 des italienischen Insolvenzgesetzes auf "Eröffnung eines Zwangsvergleichs" gestellt und sich dabei die Möglichkeit vorbehalten hatte, einen Plan zur Fortführung der Tätigkeit vorzulegen. Der EuGH hat dazu Folgendes festgehalten:
"38 Wie im vorliegenden Fall aus dem nationalen Recht - insbesondere aus Art 168 des Insolvenzgesetzes - hervorgeht, bewirkt die Einreichung des Antrags auf Eröffnung eines Zwangsvergleichs ua, dass die Gläubiger für eine im Insolvenzgesetz bestimmte Dauer daran gehindert sind, mit rechtlichen Schritten auf das Vermögen des Schuldners zuzugreifen, und dass die Rechte, die der Antragsteller an seinem Vermögen hat, beschränkt werden, da er in Bezug auf dieses ab der Antragstellung allein, dh ohne gerichtliche Genehmigung, keine Maßnahmen der Insolvenzverwaltung mehr ergreifen kann.
39 Eine solche Antragstellung hat somit rechtliche Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten sowohl des Antragstellers als auch des Gläubigers. Die Antragstellung ist also als Ausgangspunkt des Zwangsvergleichsverfahrens iSv Art 45 Abs 2 Unterabs 1 Buchst b der Richtlinie 2004/18 und folglich als die das Verfahren einleitende Maßnahme anzusehen, selbst wenn das zuständige Gericht noch keine Entscheidung getroffen hat.
40 Dieses Ergebnis ist auch durch die wirtschaftliche und finanzielle Situation des Antragstellers gerechtfertigt. Denn durch eine solche Antragstellung räumt der Wirtschaftsteilnehmer ein, dass er sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, die seine wirtschaftliche Zuverlässigkeit in Frage stellen können. Wie jedoch in Rn. 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, soll durch den fakultativen Ausschlussgrund des Art 45 Abs 2 Unterabs 1 Buchst b der Richtlinie 2004/18 gegenüber der Vergabestelle sichergestellt werden, dass sie einen Vertrag mit einem Wirtschaftsteilnehmer schließt, der über eine hinreichende wirtschaftliche Zuverlässigkeit verfügt.
41 Gemäß dieser Vorschrift ist also davon auszugehen, dass ab der Antragstellung gegen den Wirtschaftsteilnehmer ein Zwangsvergleichsverfahren eröffnet ist.
42 Der Umstand, dass sich der Wirtschaftsteilnehmer in seinem Antrag die Möglichkeit vorbehält, einen Plan zur Fortführung seiner Tätigkeit vorzulegen, vermag an dieser Feststellung nichts zu ändern.
(...)
49 Außerdem ist die Situation, in der sich der Wirtschaftsteilnehmer zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausschlussentscheidung noch nicht verpflichtet, sich in einen Zwangsvergleich mit Fortführung seiner Tätigkeit zu begeben, im Hinblick auf seine wirtschaftliche Zuverlässigkeit nicht mit der Situation vergleichbar, in der er sich zu diesem Zeitpunkt bereits zur Fortführung seiner Tätigkeit verpflichtet.
50 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art 45 Abs 2 Unterabs 1 Buchst b der Richtlinie 2004/18 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren, wonach ein Wirtschaftsteilnehmer vom Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden darf, wenn er zum Zeitpunkt der Ausschlussentscheidung bereits einen Antrag auf Eröffnung eines Zwangsvergleichs gestellt und sich dabei die Möglichkeit vorbehalten hatte, einen Plan zur Fortführung der Tätigkeit vorzulegen, nicht entgegensteht."
Ausgehend davon wäre vorliegend bereits der Antrag von C als Eröffnung des Insolvenzverfahrens (auch iSd nunmehr maßgeblichen sekundärrechtlichen Regelung des Art 57 Abs 4 Buchst b der Richtlinie 2014/24/EU) anzusehen gewesen.
Richtig ist zwar, dass zwischen der Insolvenz eines Unternehmers und seiner Leistungsfähigkeit ein Konnex besteht. Dies zeigt sich in vergaberechtlicher Hinsicht etwa in der Regelung des § 229 Abs 2 Z 3 BVergG 2006, wonach in bestimmten Vergabeverfahren trotz Eröffnung eines Insolvenzverfahrens von einem Ausschluss Abstand genommen werden kann, wenn die Leistungsfähigkeit des Unternehmers (trotz Insolvenz) zur Leistungserbringung hinreicht.
Aus dem Umstand, dass das BVergG 2006 (ebenso wie die Vergaberichtlinien) bei den Ausschlussgründen ausdrücklich - und ungeachtet der ohnehin im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit normierten Anforderungen - auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abstellt, ist allerdings abzuleiten, dass im Zuge der Prüfung dieses Ausschlussgrundes keine inhaltliche Prognoseentscheidung über die finanzielle Leistungsfähigkeit vorzunehmen, sondern formal die Frage des Vorliegens eines eröffneten (und noch aufrechten) Insolvenzverfahrens zu klären ist. Das BVergG 2006 sieht (für klassische öffentliche Auftraggeber) auch unterschiedliche Nachweise für die Ausschlussgründe einerseits und die finanzielle Leistungsfähigkeit andererseits vor. Schließlich hat der VwGH iZm der Frage, ob ein Insolvenzverfahren noch anhängig sein muss, eine Abgrenzung zwischen dem - eine unwiderlegbare Vermutung begründenden - Ausschlussgrund des (für klassische öffentliche Auftraggeber geltenden) § 68 Abs 1 Z 2 BVergG 2006 und der - von einer allfälligen Beendigung des Insolvenzverfahrens unberührt bleibenden - Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit nach den §§ 70 und 74 BVergG 2006 vorgenommen.