OGH: § 187 ABGB – Aussetzung des Kontaktrechts iZm Treffen des Kindes ohne vereinbartem begleiteten Kontakt?
Die Ansicht des Erstgerichts, das eigenmächtige Vorgehen des Vaters am 23. 8. 2016 habe dem Kindeswohl nicht entsprochen, trifft zwar insoweit zu, als Victoria, auch wenn sie während des Treffens selbst nicht belastet war, anschließend die Enttäuschung ihrer Mutter über das vereinbarungswidrige Verhalten des Vaters bemerkt hat; daraus ergibt sich aber noch nicht, dass weitere – begleitete – Kontakte zum Vater dem Kindeswohl massiv widerstreiten würden; auch wenn hier eine direkte Beeinflussung Victorias durch die Mutter nicht vorliegt, steht eine von der Gerichtssachverständigen in ihrem Gutachten beschriebene mittelbare Beeinflussung im Raum; deren Bedeutung für Victorias Entschluss, keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater haben zu wollen, ist bislang ebenso unklar, wie die längerfristigen Konsequenzen dieser Einstellung auf das Kindeswohl
§ 187 ABGB, § 138 ABGB
GZ 8 Ob 57/19v, 24.07.2019
OGH: Das Recht auf persönliche Kontakte stellt als „Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung“ ein allgemein anerkanntes, unter dem Schutz des Art 8 EMRK stehendes Menschenrecht dar. Sein Zweck ist es, die Bindung zwischen Eltern und Kind aufrecht zu erhalten, eine gegenseitige Entfremdung zu verhindern und dem nicht betreuenden Elternteil die Möglichkeit zu geben, sich von der Erziehung und dem Gesundheitszustand des Kindes zu überzeugen. Auch eine bereits eingetretene Entfremdung ist kein Grund, dem Kind oder dem nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Elternteil die Ausübung des Besuchsrechts zu versagen. Der Zweck des Besuchsrechts liegt dann darin, die eingetretene Entfremdung behutsam und durch eine dem Kindeswohl entsprechende Ausgestaltung wieder abzubauen.
Einem Elternteil steht das Kontaktrecht nur insoweit nicht zu, als das Wohl des Kindes durch dessen Ausübung massiv gefährdet werden würde. Nur bei einer derartigen schwerwiegenden Gefährdung hat in einem – selbst unverschuldeten – Konfliktfall der Kontaktrechtsanspruch eines Elternteils gegenüber dem Kindeswohl zurückzutreten.
Die gänzliche Unterbindung des persönlichen Kontakts zwischen einem Elternteil und seinem Kind hat die Ausnahme zu sein; jede sich ohne Gefährdung des Kindeswohls bietende Möglichkeit einer Kontaktaufnahme muss genutzt werden.
Die Vorinstanzen haben hier das Kontaktrecht des Vaters zu Victoria ausgesetzt, obgleich keine Feststellungen getroffen wurden, die den Schluss zuließen, dass die (weitere) Ausübung eines (begleiteten) Kontaktrechts durch den Vater das Kindeswohl gefährden würde.
Vielmehr wurde festgestellt, dass Victoria im Laufe der begleiteten Besuchskontakte Interesse und Freude an der Interaktion mit ihrem Vater zeigte, dieser sichtlich bemüht war, eine Beziehung zu seiner Tochter herzustellen und die Besuchszeit mit adäquaten Spielangeboten kurzweilig zu gestalten. In den Kontakten zwischen Victoria und ihrem Vater gab es überwiegend stimmige und gegenseitige interessierte Begegnungen zu beobachten.
Die Ansicht des Erstgerichts, das eigenmächtige Vorgehen des Vaters am 23. 8. 2016 habe dem Kindeswohl nicht entsprochen, trifft zwar insoweit zu, als Victoria, auch wenn sie während des Treffens selbst nicht belastet war, anschließend die Enttäuschung ihrer Mutter über das vereinbarungswidrige Verhalten des Vaters bemerkt hat. Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass weitere – begleitete – Kontakte zum Vater dem Kindeswohl massiv widerstreiten würden.
Nur mit dem nach diesem Vorfall von der mittlerweile zehnjährigen Victoria geäußerten Wunsch, ihren Vater nicht mehr zu sehen, lässt sich die Aussetzung des Kontaktrechts nicht begründen.
Der Wille des Kindes stellt ein wichtiges, jedoch nicht allein maßgebliches Kriterium dar, da dieser nicht selten von außen beeinflusst ist und Schwankungen unterliegen kann. Je älter ein bereits einsichts- und urteilsfähiges Kind ist, desto eher wird seinem Wunsch zu entsprechen sein. Ein unmündiges Kind ist aber typischerweise nicht in der Lage, rational zu beurteilen, welche konkrete Ausgestaltung seiner zukünftigen Beziehungen zu den beiden Elternteilen für seine Entwicklung am Günstigsten ist.
Auch wenn hier eine direkte Beeinflussung Victorias durch die Mutter nicht vorliegt, steht eine von der Gerichtssachverständigen in ihrem Gutachten beschriebene mittelbare Beeinflussung im Raum. Deren Bedeutung für Victorias Entschluss, keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater haben zu wollen, ist bislang ebenso unklar, wie die längerfristigen Konsequenzen dieser Einstellung auf das Kindeswohl. Immerhin steht die ablehnende Haltung Victorias in einem gewissen – bisher nicht auflösbaren – Widerspruch dazu, dass sich nach den Feststellungen das begleitete Kontaktrecht bis zum Vorfall am 23. 8. 2016 durchwegs positiv gestaltet hat.
Aufgrund des derzeit festgestellten Sachverhalts kann daher nicht abschließend beurteilt werden, ob die vollständige Aussetzung der Kontakte zum Vater dem Kindeswohl tatsächlich besser gerecht wird, als ein begleitetes Kontaktrecht.
Nur wenn ein erzwungener Kontakt das Kindeswohl gefährden würde, wäre ein Kontaktrecht nicht zu bewilligen.
Das Erstgericht wird dazu ergänzende Feststellungen zu treffen haben.
Entgegen der Meinung des Rekursgerichts hat der Vater mit seinem eigenmächtigen Vorgehen am 23. 8. 2016 nicht zu erkennen gegeben, nicht wenigstens die vereinbarten begleiteten Kontakte zu Victoria wahrnehmen zu wollen, sollte er mit seinen darüber hinausgehenden Kontaktrechtsanträgen nicht durchdringen.