OGH: Zur Haftrücklassgarantie
Es ist rechtsmissbräuchlich, eine Bankgarantie zu einem anderen als dem Sicherungszweck abzurufen; dies gilt auch für eine Haftrücklassgarantie
§ 880a ABGB, § 1295 ABGB
GZ 9 Ob 28/19m, 25.06.2019
OGH: Zum Wesen der Bankgarantie gehört der Ausschluss von Einwendungen aus dem Grundgeschäft. Sie ist ein nicht akzessorisches Sicherungsgeschäft. Erlangt der Garant Kenntnis von Einwendungen und Einreden des Auftraggebers gegenüber dem Begünstigten aus dem Kausalverhältnis, ist er gegenüber dem Auftraggeber nicht verpflichtet und gegenüber dem Begünstigten nicht berechtigt, die Auszahlung der Garantiesumme zu verweigern. Die Bankgarantie soll dem Begünstigten eine sichere, durch Einwendungen nicht verzögerte Zahlung gewährleisten. Streitigkeiten sollen erst nach der Zahlung abgewickelt werden. Die Frage der materiellen Berechtigung der gesicherten Forderung ist erst im „Nachverfahren“ zu prüfen. Der Sicherungszweck der Bankgarantie ergibt sich regelmäßig aus dem Hinweis auf das Grundgeschäft in der Präambel. Die Präambel stellt klar, welche Ansprüche aus welchem Vertrag die Bank garantiert. Dem Begünstigten steht es nicht frei, die Garantie betreffend einen bestimmten Auftrag für andere Aufträge heranzuziehen.
Sinn einer Bankgarantie, welche anstelle eines sonst vereinbarten Haftrücklasses gegeben wird, ist nicht nur, dem Begünstigten eine Sicherheit zu geben, sondern dass der Begünstigte so gestellt werden soll, wie wenn er schon Bargeld in Händen hätte, oder genauer gesagt, wie wenn er die fragliche Summe noch gar nicht aus der Hand gegeben hätte. Während Bargeld „kein Mascherl hat“ und daher bei einem Haftrücklass der Schuldner gegen die Forderung des Gläubigers auf Auszahlung des Haftrücklasses mit einer ihm selbst gegen den Gläubiger aus welchem Grund auch immer zustehenden Geldforderung aufrechnen darf, hat eine Haftrücklassgarantie einen Sicherungszweck. Es ist rechtsmissbräuchlich, eine Bankgarantie zu einem anderen als dem Sicherungszweck abzurufen. Dies gilt auch für eine Haftrücklassgarantie.
Der effektive Einbehalt des Haftrücklasses dient zum einen als Druckmittel für die Herstellung einer mangelfreien Leistung, zum anderen bietet er dem Besteller die Möglichkeit, sich allenfalls für seine Gewährleistungs-(oder Schadenersatz-)ansprüche schadlos zu halten. Wird der effektive Einbehalt des Haftrücklasses durch eine Bankgarantie ersetzt, übernimmt diese die Funktion als Sicherungsmittel, dies aber nur mit demselben Sicherungszweck: Dem Erwerber soll durch die Haftrücklassgarantie Sicherheit für erst später, innerhalb der Gewährleistungsfrist entdeckte Mängel gewährt werden, dies aber allein hinsichtlich des konkreten Bauvorhabens, für das die Haftrücklassgarantie zufolge ihrer Präambel gegeben wurde. Eine Bankgarantie verschafft daher bei entsprechender Ausgestaltung nur weitestgehend die gleiche Sicherheit wie die Zurückbehaltung eines Teils des Werklohns. Während Bargeld jederzeit kompensationsfähig ist, ist dies eine Bankgarantie nicht.