OGH: Zur Haftung nach § 75 Abs 3 WAG
Die Abschlussvermittlung setzt ein privatrechtliches Verhältnis über die Anbahnung einer Geschäftsgelegenheit zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten voraus; die Organisation des Verkaufs von Wertpapieren über die Börse als „besondere Vertriebsschiene“ ohne Vereinbarung mit dem Anleger fällt nicht darunter
§§ 1295 ff ABGB, § 75 WAG
GZ 1 Ob 117/18i, 03.04.2019
OGH: Die Anlegerentschädigung nach § 75 Abs 3 WAG greift ein, wenn eine Wertpapierfirma nicht in der Lage ist, dem Anleger geschuldetes Geld zurückzuzahlen oder ihm gehörende Finanzinstrumente zurückzugeben. Rückforderungsansprüche können sich außer aus vertraglichen Regelungen auch aus dem Schadenersatz-, Bereicherungs- oder Sachenrecht ergeben. Das System der Anlegerentschädigung beruht auf der RL über Systeme für die Entschädigung der Anleger (AE-RL). Ihr Zweck ist es va, Anleger vor „Betrügereien“ zu schützen. Ein solches Betrugsrisiko besteht besonders beim „Halten“ von Geldern und Finanzinstrumenten für den Anleger Da Geschäfte, die das Halten von Geldern und Wertpapieren von Kunden umfassen, einer Wertpapierfirma jedoch ausdrücklich untersagt sind (§ 3 Abs 5 Z 4 WAG) und die Anlegerentschädigung keine Ansprüche aus einer Beratungshaftung deckt, verbleibt als Anwendungsbereich nur der Fall, dass Wertpapierfirmen in Überschreitung ihrer Konzession (also rechtswidrig) Kundengelder oder Finanzinstrumente halten. Nur für sich daraus ergebende Schäden sollte eine Haftung der Beklagten geschaffen werden. Das „Halten von Kundengeldern“ kommt auch in Form eines mittelbaren Haltens in Betracht, zB, wenn sich nicht die Wertpapierfirma selbst, sondern eine Tochtergesellschaft oder ein sonst mit der Wertpapierfirma rechtlich oder wirtschaftlich verbundener Rechtsträger Kundengelder oder Finanzinstrumente aneignet. In Betracht kommt auch eine Verflechtung iSe Beherrschung oder einer weitgehenden Eigentümeridentität.
Die Entschädigungspflicht nach § 75 Abs 3 WAG umfasst auch die Vermittlung von Wertpapieren, wenn dies zum unmittelbaren oder mittelbaren Halten von Kundengeldern oder Finanzinstrumenten führt. Die Abschlussvermittlung setzt ein privatrechtliches Verhältnis über die Anbahnung einer Geschäftsgelegenheit zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten heraus. Die Organisation des Verkaufs von Wertpapieren über die Börse als „besondere Vertriebsschiene“ ohne Vereinbarung mit dem Anleger fällt nicht darunter. Ein Anspruch auf Entschädigung für den Kauf von Wertpapieren setzt aber voraus, dass der Kaufpreis der Wertpapierfirma überhaupt (unmittelbar oder mittelbar) zugeflossen ist. Bei einem Kauf am Sekundärmarkt über die Börse steht aber nicht im Vorhinein fest, von wem die gewünschten Wertpapiere erworben werden. Da der Anleger nicht darauf vertrauen darf, mit einem Mitglied der Entschädigungseinrichtung zu kontrahieren, besteht kein Vertrauen auf die Absicherung dieser Investition durch die Anlegerentschädigung und damit kein schutzwürdiges Interesse an einer solchen Entschädigung.