OGH: Gemeinsame Obsorge gem § 179 ABGB – Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit sowie an Kommunikationsbereitschaft der Eltern
Ein Grundsatz, wonach eine Kommunikation der Eltern per SMS und E-Mail für eine sinnvolle Ausübung einer beiderseitigen Obsorge nicht genüge, besteht nicht; vielmehr kommt es für eine verantwortungsvolle Kommunikation in erster Linie auf die jeweilige Bereitschaft zum Informationsaustausch an und nicht auf die Art der Nachrichtenübermittlung
§ 179 ABGB, § 180 ABGB, § 107 AußStrG
GZ 10 Ob 8/19b, 19.02.2019
OGH: Es entspricht stRsp, dass die Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge die Bereitschaft und Fähigkeit beider Elternteile zur Beteiligung bzw Mitwirkung an der Betreuung des Kindes voraussetzt. Die sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern erfordert daher ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit sowie an Kommunikationsbereitschaft der Eltern. Um Entscheidungen möglichst übereinstimmend iSd Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in sachlicher Form Informationen auszutauschen und Entschlüsse zu fassen.
Zu beurteilen ist daher, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern bereits vorhanden ist oder ob in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet oder eine solche zumindest hergestellt werden kann. Zur Herstellung der nötigen Gesprächsbasis ist bei ausreichender Aussicht auf Erfolg auch auf die vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Mittel des § 107 Abs 3 AußStrG zurückzugreifen. Ganz allgemein sind an die Aussicht auf Erfolg zur Herstellung einer erforderlichen Gesprächsbasis keine strengen Anforderungen zu stellen. Schwierigkeiten im gegenseitigen Umgang und Probleme in der Kommunikation sind für einen Obsorgestreit mehr oder weniger typisch.
Die Vorinstanzen gingen davon aus, den Eltern sei es zwar seit ihrer schon mehr als zehn Jahre zurückliegenden Trennung nicht mehr gelungen, eine konstruktive Kommunikationsbasis aufzubauen (was für das Kind sehr belastend sei), dennoch sei zumindest in absehbarer Zukunft die Herstellung einer entsprechenden Gesprächsbasis zu erwarten. Diese Prognose gründete das Erstgericht nicht nur auf die Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe, nach der beide Elternteile im Interesse des Kindes bereit sind, mit fachlicher Hilfe an einer Verbesserung ihrer Kommunikation zu arbeiten, sondern auch darauf, dass die Eltern in der Vergangenheit – wenn auch nur unter Inanspruchnahme fachkundiger Anleitung des Gerichts und der Familiengerichtshilfe – zu Lösungen betreffend die Ausübung des Kontaktrechts und die Wahl der Schule gelangt sind. Zudem ergibt sich aus der Stellungnahme der Familiengerichtshilfe, dass der erste wesentliche Schritt zu einer Verbesserung der elterlichen Kommunikation durch die Beendigung des langwierigen Obsorgeverfahrens bewirkt werden wird; durch die Verfahrensbeendigung werde auch die dringend erforderliche Entlastung des Kindes eintreten.
Wenngleich zwischen den Eltern Kommunikationsschwierigkeiten bestehen, haben diese – zusammenfassend – kein Niveau erreicht, das einer Obsorge beider Eltern entgegensteht. Wenn die Vorinstanzen – insbesondere im Hinblick auf den verpflichtenden Besuch einer Elternberatung (§ 107 Abs 3 AußStrG) – von einer günstigen Prognose für eine verantwortungsvolle Kommunikation und Kooperation ausgegangen sind, hält sich dies im Rahmen der dargelegten Rsp. Mit ihrem Standpunkt, es fehle jetzt und auch in Zukunft an jeglicher Kommunikationsbasis, zeigt die Revisionsrekurswerberin keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil die Frage, der die diesbezüglichen Voraussetzungen für die Obsorge beider Eltern vorliegen, nur einzelfallbezogen beantwortet werden kann. Ein Grundsatz, wonach eine Kommunikation der Eltern per SMS und E-Mail für eine sinnvolle Ausübung einer beiderseitigen Obsorge nicht genüge, besteht nicht. Vielmehr kommt es für eine verantwortungsvolle Kommunikation in erster Linie auf die jeweilige Bereitschaft zum Informationsaustausch an und nicht auf die Art der Nachrichtenübermittlung. Mittels E-Mail kann beispielsweise durchaus auf einer sachlichen Ebene miteinander kommuniziert werden.