29.04.2019 Verfahrensrecht

OGH: Zur ausnahmsweisen Anfechtbarkeit eines Unzuständigkeitsbeschlusses iSd § 45 JN

Die Kläger argumentieren, dass eine Entscheidung über die sachliche Unzuständigkeit iZm der Herabsetzung des Streitwerts nach § 60 JN auch nach Streitanhängigkeit immer dann anfechtbar sein müsse, wenn dem Kläger keine Erschleichung der Gerichtshofszuständigkeit vorzuwerfen sei; folgte man dieser Ansicht, so würde dies bedeuten, dass im Fall einer Streitwertherabsetzung nach § 60 JN die Richtigkeit einer vom Kläger schlüssig argumentierten Bewertung des Streitgegenstands stets überprüfbar wäre; derartige Zuständigkeitsstreitigkeiten sollen durch § 45 JN aber gerade ausgeschlossen werden; dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung des § 60 JN im Anlassfall nicht gegeben seien, legen die Kläger nicht dar


Schlagworte: Nach Eintritt der Streitanhängigkeit, sachliche Zuständigkeit, Unzuständigkeitsbeschluss, ausnahmesweise Anfechtbarkeit, Streitwertherabsetzung
Gesetze:

 

§ 45 JN, § 60 JN

 

GZ 4 Ob 43/19f, 26.03.2019

 

OGH: Gem § 45 JN ist nach Streitanhängigkeit die Anfechtung einer Entscheidung, mit der die sachliche Zuständigkeit verneint wird, nur dann zulässig, wenn das zuständige Gericht seinen Sitz nicht in derselben Gemeinde wie das angerufene Gericht hat. Der Zweck dieser Rechtsmittelbeschränkung besteht darin, übermäßige Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bedingte Verfahrensverzögerungen zu vermeiden. Durch den weitgehenden Rechtsmittelausschluss ist es dem Rechtsmittelgericht grundsätzlich untersagt, den angefochtenen Unzuständigkeitsbeschluss zu überprüfen. Deshalb ist nach der Rsp eine Anfechtung unabhängig davon ausgeschlossen, mit welcher Begründung die Entscheidung erfolgt. Ein Rekurs ist selbst dann unzulässig, wenn Nichtigkeit oder ein ähnlich schwerwiegender verfahrensrechtlicher Verstoß oder die Verletzung zwingenden Rechts geltend gemacht wird.

 

Die hier fraglichen Rechtsprechungsgrundsätze zur ausnahmsweisen Anfechtbarkeit eines Unzuständigkeitsbeschlusses iSd § 45 JN sind geklärt. Demnach lässt die Judikatur Ausnahmen von der in Rede stehenden Rechtsmittelbeschränkung nur in engen Grenzen zu, wobei sie in dieser Hinsicht auf die Rsp zum Rechtsmittelausschluss nach § 261 Abs 6 ZPO zurückgreift, derzufolge dieser Ausschluss dann nicht gilt, wenn die ausgesprochene Überweisung der Norm derart widerspricht, dass der Zweck des Rechtsmittelausschlusses nicht mehr erfüllt wird, also wenn die Überweisung ohne gesetzliche Grundlage erfolgt ist bzw die gesetzlichen Voraussetzungen für die Überweisung nicht gegeben sind.

 

In diesem Sinn wurde in der Entscheidung 2 Ob 169/02w ein Unzuständigkeitsbeschluss iSd § 45 JN ausnahmsweise dann für anfechtbar erklärt, wenn die (zuständigkeitsändernde) Streitwertherabsetzung ohne gesetzliche Grundlage erfolgt. Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass die Bewertung für eine Klage gem §§ 28 ff KSchG, die gem § 51 Abs 2 Z 10 JN vor das Handelsgericht gehört, von diesem unter die bezirksgerichtliche Streitwertgrenze herabgesetzt und die Rechtssache dem Bezirksgericht übertragen wurde. Eine ausnahmsweise Anfechtbarkeit des Beschlusses über die sachliche Unzuständigkeit wurde auch in der Entscheidung 2 Ob 128/11d bejaht. In diesem Fall hatte das angerufene Bezirksgericht nach einer Klagsausdehnung, auf die sich der Beklagte eingelassen hatte, die Klage zurückgewiesen und die Rechtssache an das Landesgericht überwiesen. Auch in dieser Entscheidung wurde ausgesprochen, dass § 45 JN – so wie § 261 Abs 6 ZPO – dann nicht anzuwenden sei, wenn eine Überweisung ohne gesetzliche Grundlage erfolgt sei. Die Klagszurückweisung und Überweisung des Verfahrens an ein anderes Gericht wegen einer Klagsausdehnung, die nur nach § 235 ZPO zu lösen sei, widerspreche elementaren Prozessgrundsätzen und sei ein gravierender Verstoß, der mit dem Zweck der in § 45 JN und § 261 Abs 6 ZPO normierten Rechtsmittelausschlüsse unvereinbar sei.

 

Bei der Bejahung des Vorliegens einer Ausnahme vom Anfechtungsausschluss nach § 45 JN ist Zurückhaltung geboten. Nach dem klaren Wortlaut hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass selbst schwere Verstöße gegen das Verfahrensrecht im Interesse der Verfahrensökonomie nicht aufgegriffen werden können. Eine Ausnahme vom Rechtsmittelausschluss ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn das seine Unzuständigkeit aussprechende Gericht eine Verfahrensvorschrift anwendet, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen und sich das Gericht daher außerhalb der angewandten Norm bewegt.

 

Die Kläger argumentieren in ihrem Rechtsmittel, dass eine Entscheidung über die sachliche Unzuständigkeit iZm der Herabsetzung des Streitwerts nach § 60 JN auch nach Streitanhängigkeit immer dann anfechtbar sein müsse, wenn dem Kläger keine Erschleichung der Gerichtshofszuständigkeit vorzuwerfen sei.

 

Folgte man dieser Ansicht, so würde dies bedeuten, dass im Fall einer Streitwertherabsetzung nach § 60 JN die Richtigkeit einer vom Kläger schlüssig argumentierten Bewertung des Streitgegenstands stets überprüfbar wäre. Derartige Zuständigkeitsstreitigkeiten sollen durch § 45 JN aber gerade ausgeschlossen werden. Dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung des § 60 JN im Anlassfall nicht gegeben seien, legen die Kläger nicht dar.