28.01.2019 Strafrecht

OGH: § 302 StGB – Unterlassung der exekutiven Eintreibung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge

Bedienstete der Sozialversicherungsträger, die dort Hoheitsakte vornehmen oder Aufgaben der Wirtschaftsverwaltung erfüllen, sind Beamte iSd § 74 Z 4 StGB; Akt der Hoheitsverwaltung ist auch die Bestimmung der Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung auf Basis der vorgeschriebenen Prozentsätze der Höchstbeitragsgrundlage (gegebenenfalls auch noch die Ausfertigung eines Zahlungsbefehls oder Rückstandsausweises); mit der Beitragsfestsetzung ist jedoch das hoheitliche Verfahren des Sozialversicherungsträgers beendet; bei exekutiver Eintreibung kommt diesem die Stellung eines betreibenden Gläubigers, der der gerichtlichen Entscheidung unterliegt, zu; unterlässt ein Dienstnehmer eines Sozialversicherungsträgers missbräuchlich die exekutive Eintreibung rückständiger Beiträge, kommt Strafbarkeit nach § 153 StGB in Betracht


Schlagworte: Missbrauch der Amtsgewalt, Sozialversicherungsbeiträge, exekutive Eintreibung, Beamter, Untreue
Gesetze:

 

§ 302 StGB, § 153 StGB

 

GZ 14 Os 115/18w, 13.11.2018

 

OGH: Seit der Einführung der Schadensqualifikation des § 302 Abs 2 zweiter Satz StGB durch BGBl I 2001/130 gilt für Missbrauch der Amtsgewalt der Zusammenrechnungsgrundsatz nach § 29 StGB. Die damit verfehlte Annahme mehrerer Verbrechen nach § 302 Abs 1 StGB (US 5) wirkte sich in concreto nicht zum Nachteil des Angeklagten aus, weshalb amtswegige Wahrnehmung des Subsumtionsfehlers nicht erforderlich war.

 

Der Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt setzt Befugnisfehlgebrauch „in Vollziehung der Gesetze“, also im Rahmen der Hoheitsverwaltung, voraus. Hoheitsverwaltung liegt jedenfalls dann vor, wenn der Beamte typisch hoheitliche Rechtsformen (Verordnung, Bescheid, Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt) gebraucht. Davon abgesehen sind Amtsgeschäfte (etwa tatsächliche Verrichtungen) der Hoheitsverwaltung zuzurechnen, wenn sie einen spezifischen Zusammenhang mit Hoheitsakten aufweisen.

 

Nach den zu I/B getroffenen – hier wesentlichen – Feststellungen war Dr. B***** Abteilungsleiter der Abteilung Versicherungsservice der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ***** und als solcher (ua) für die „Einhebung der Versicherungsbeiträge und die Festlegung des Versicherungsbeitrages“ zuständig, mit „dieser Angelegenheit“ befasst und auch in den im Urteil näher bezeichneten, beim BG ***** anhängigen Exekutionsverfahren für die Versicherungsanstalt tätig, in denen dieser als betreibender Partei (aufgrund vollstreckbarer Rückstandsausweise) zur Hereinbringung ihrer offenen Forderungen die Fahrnisexekution wider den Angeklagten als verpflichtete Partei gerichtlich bewilligt und (in einem dieser Verfahren) ein Termin für die Versteigerung seines PKWs anberaumt worden war.

 

Ziel des inkriminierten Schreibens, das der Angeklagte per Fax an den für die angeführten Verfahren zuständigen Gerichtsvollzieher des BG ***** sowie Dr. B***** übermittelte, war es, die Genannten „zur Abstandnahme von der (gesetzmäßigen) Durchführung bzw Betreibung weiterer gebotener (Rechts-)Handlungen zur exekutiven Hereinbringung der offenen Forderungen, insbesonders von der Versteigerung seines PKWs“, zu veranlassen.

 

Er wusste und wollte, dass die Adressaten des Schreibens bei bestimmungsgemäßem Verhalten wissentlich ihre Befugnis, im Namen des Bundes (L***** D*****) oder einer anderen Person des öffentlichen Rechts (Dr. B*****), als deren Organ „in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen“, missbrauchen. Sein Vorsatz war dabei zudem auf Nötigung der Genannten durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen (zum konstatierten Bedeutungsinhalt des Schreibens: US 14), auf unrechtmäßige Bereicherung sowie darauf gerichtet, den Sozialversicherungsträger an seinem Recht auf Befriedigung seiner Ansprüche sowie am Vermögen zu schädigen (US 11 ff).

 

Bedienstete der Sozialversicherungsträger, die dort Hoheitsakte vornehmen oder Aufgaben der Wirtschaftsverwaltung erfüllen, sind Beamte iSd § 74 Z 4 StGB. Akt der Hoheitsverwaltung ist auch die Bestimmung der Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung auf Basis der vorgeschriebenen Prozentsätze der Höchstbeitragsgrundlage (gegebenenfalls auch noch die Ausfertigung eines Zahlungsbefehls oder Rückstandsausweises), mit der Dr. B***** bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ***** betraut war. Mit der Beitragsfestsetzung ist jedoch das hoheitliche Verfahren beendet. Bei – wie hier – exekutiver Eintreibung kommt dem Sozialversicherungsträger die Stellung eines betreibenden Gläubigers, der der gerichtlichen Entscheidung unterliegt, zu. Unterlässt ein Dienstnehmer eines Sozialversicherungsträgers missbräuchlich die exekutive Eintreibung rückständiger Beiträge, kommt Strafbarkeit nach § 153 StGB in Betracht.

 

Die rechtliche Beurteilung des zu I/B in Zusammenhang mit der Übermittlung des inkriminierten Schreibens an Dr. B***** konstatierten Täterverhaltens als (in Idealkonkurrenz zu jenem der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB [Schuldspruch II] verwirklichtes) Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 302 Abs 1 StGB, erfolgte daher rechtsirrig.

 

Auch insoweit bestand schon deshalb kein Anlass zu amtswegigem Vorgehen, weil dieser Subsumtionsfehler ohne Einfluss auf den rechtlichen Bestand der – nach dem Vorgesagten zu bildenden (vgl auch I/B) – Subsumtionseinheit und damit den Strafrahmen blieb. Der Erschwerungsgrund des § 33 Abs 1 Z 1 StGB (das „Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit mehreren Vergehen“; US 27) wurde vom Erstgericht – wegen der Tatwiederholung zu I sowie der Begehung von Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (II) und mehreren Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (III) – zu Recht angenommen.