28.01.2019 Zivilrecht

OGH: § 21 Abs 3 WEG 2002 – Auflösung des Verwaltungsvertrags wegen grober Vernachlässigung der Verwalterpflichten (hier: bewusst unrichtige Fertigstellungsanzeigen an Baupolizei)

Das Rekursgericht qualifizierte die Vorgangsweise des Geschäftsführers der Erstantragsgegnerin als gravierenden Vollmachtsmissbrauch gegenüber allen Eigentümern, weil ihm klar sein habe müssen, dass er mit den unrichtigen Fertigstellungsanzeigen keineswegs im Interesse der Eigentümer gehandelt habe; er hätte die Eigentümer über die Sachlage, ihre Möglichkeiten und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen umfassend aufklären und sie darin unterstützen müssen, eine nachhaltige Lösung zu finden; die Pflichtverletzung liege zwar schon Jahre zurück, aber der durch diese Fehlleistung prolongierte konsenswidrige Zustand dauere nach wie vor und nur deshalb an, weil der Geschäftsführer der Erstantragsgegnerin mit seinem Verhalten verhindert habe, dass überhaupt eine nachhaltige Lösung gesucht werde; daher könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Wahrnehmung der Interessen der Wohnungseigentümer in Zukunft gesichert wäre


Schlagworte: Wohnungseigentumsrecht, Auflösung des Verwaltungsvertrags, grobe Vernachlässigung der Verwalterpflichten, bewusst unrichtige Fertigstellungsanzeigen an Baupolizei
Gesetze:

 

§ 21 WEG 2002

 

GZ 5 Ob 177/18t, 06.11.2018

 

OGH: Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag eines Mit- und Wohnungseigentümers auf Auflösung des Verwaltungsvertrags wegen grober Vernachlässigung der Verwalterpflichten (§ 21 Abs 3 WEG 2002).

 

Zu den Voraussetzungen dieses Individualrechts eines Mit- und Wohnungseigentümers existiert bereits umfangreiche Judikatur. Ob ausgehend von diesen Grundsätzen ausreichende Gründe vorliegen, den Verwaltungsvertrag auf Antrag eines Mit- und Wohnungseigentümers aufzulösen, lässt sich immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen. Die Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten des Verwalters als grobe Vernachlässigung seiner Pflicht zu werten ist, eröffnet dabei einen gewissen Beurteilungsspielraum. Solange die Vorinstanzen ihre Entscheidung innerhalb dieses Beurteilungsspielraums treffen, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor.

 

Der Revisionsrekurs zeigt auch keine Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht auf, die ungeachtet der Einzelfallbezogenheit dieser Entscheidung im Interesse der Rechtssicherheit durch den OGH korrigiert werden müsste.

 

Die Erstantragsgegnerin schritt in mehreren Bauverfahren unter Berufung auf die ihr dafür von den Mit- und Wohnungseigentümern erteilten Spezialvollmachten als Vertreterin der Grundeigentümer und Bauwerber ein. Die Baubehörde hatte die Erfüllung diverser Verpflichtungen aus lange vor Begründung des Wohnungseigentums und vor Bestellung der Erstantragsgegnerin zur Verwalterin erteilten Baubewilligungen eingefordert. Die damals vorgenommenen baulichen Veränderungen wichen zum Teil nicht nur vom baubehördlichen Konsens ab, sie waren auch gar nicht bewilligungsfähig. Um den Aufträgen der Baupolizei dennoch nachkommen zu können, erstattete die Erstantragsgegnerin in Absprache und im Zusammenwirken mit dem von ihr beauftragten Sachverständigen mehrere teilweise unrichtige Fertigstellungsanzeigen, wobei ihr die jeweilige Unrichtigkeit bewusst war bzw im Fall der Errichtung einer Aufzugsanlage zumindest bewusst sein hätte müssen. Gegenüber dem Sachverständigen gab die Erstantragsgegnerin eine „Enthaftungserklärung“ ab. Die Mit- und Wohnungseigentümer informierte die Erstantragsgegnerin ungenügend; sie klärte sie weder über die baurechtliche Problematik noch den von ihr gewählten „Lösungsweg“ auf. Die Fertigstellungsanzeigen erfolgten im Jahr 2011, danach blieb die Erstantragsgegnerin trotz ihres Wissens bzw Wissenmüssens um den konsenswidrigen Zustand untätig, bis die Baubehörde neuerlich einschritt und im Juli 2015 nach vorangegangenen Begehungen erneut entsprechende Bauaufträge erteilte.

 

Das Rekursgericht qualifizierte die Vorgangsweise des Geschäftsführers der Erstantragsgegnerin als gravierenden Vollmachtsmissbrauch gegenüber allen Eigentümern, weil ihm klar sein habe müssen, dass er mit den unrichtigen Fertigstellungsanzeigen keineswegs im Interesse der Eigentümer gehandelt habe. Er hätte die Eigentümer über die Sachlage, ihre Möglichkeiten und die Konsequenzen ihrer Entscheidungen umfassend aufklären und sie darin unterstützen müssen, eine nachhaltige Lösung zu finden. Die Pflichtverletzung liege zwar schon Jahre zurück, aber der durch diese Fehlleistung prolongierte konsenswidrige Zustand dauere nach wie vor und nur deshalb an, weil der Geschäftsführer der Erstantragsgegnerin mit seinem Verhalten verhindert habe, dass überhaupt eine nachhaltige Lösung gesucht werde. Daher könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Wahrnehmung der Interessen der Wohnungseigentümer in Zukunft gesichert wäre.

 

Die Auffassung des Rekursgerichts, dieses Verhalten der Erstantragsgegnerin begründe so gewichtige Bedenken gegen deren Treue- und Interessenwahrungspflicht, dass die Auflösung des Verwaltungsvertrags nach § 21 Abs 3 WEG 2002 gerechtfertigt sei, ist vertretbar. Entgegen der Auffassung der Erstantragsgegnerin kommt es im vorliegenden Fall für diese Beurteilung nicht entscheidend darauf an, dass die Erstantragsgegnerin im gegebenen Zusammenhang aufgrund von Spezialvollmachten namens der Mit- und Wohnungseigentümer gehandelt und damit keine Maßnahme im Rahmen der Verwaltung der Liegenschaft gesetzt haben mag. Denn unabhängig von der Frage, inwieweit die Vorbereitung und Begleitung von Maßnahmen der außerordentlichen Verwaltung oder Verfügungsmaßnahmen vom Geschäftsbesorgungsauftrag eines Verwalters nach dem WEG 2002 umfasst sind, hat die Erstantragsgegnerin hier jedenfalls gegenüber den Wohnungseigentümern hinsichtlich ihrer Handlungskompetenz nicht ausreichend klar differenziert und sich in dem Informationsschreiben, das der Erteilung der Spezialvollmachten zugrunde lag, sogar ausdrücklich auf die ordentliche Verwaltung und Deckung der Kosten dieser Maßnahmen durch die Rücklage berufen. Auch mit seiner aus dem nachfolgenden Verhalten der Erstantragsgegnerin abgeleiteten negativen Zukunftsprognose verlässt das Rekursgericht den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht.