OGH: § 231 ABGB – Unterhaltsbemessung iZm fiktiver Mietkosten
Der aus dem Familienrecht abgeleitete Anspruch des unterhaltsberechtigten Kindes auf Naturalunterhalt durch Wohnversorgung wandelt sich nicht schon dadurch in einen solchen auf Geldunterhalt, dass der Unterhaltspflichtige aus der Wohnung auszieht; in einem solchen Fall hat das Kind das Recht, die Wohnung weiter zu benutzen und dennoch darüber hinaus zur Befriedigung seiner übrigen Bedürfnisse Geldunterhalt zu verlangen; maßgebend sind die Wohnkostenersparnis des unterhaltsberechtigten Kindes und der Umstand, dass dieses nicht für die Kosten ihrer Wohnversorgung aufkommen muss; aus diesem Grund mindert sich der Unterhaltsanspruch grundsätzlich um den auf das Kind entfallenden Anteil am fiktiven Mietwert, wenn dieses für die Wohnung keine Kosten aufwenden muss; die fiktiven Mietkosten sind – im Ehegatten- ebenso wie im Kindesunterhalt – idR nach Köpfen auf alle die Wohnung nutzenden Personen aufzuteilen
§ 231 ABGB
GZ 4 Ob 117/18m, 23.10.2018
OGH: Die Frage nach der angemessenen Anrechnung von anteiligen „fiktiven Mietkosten“ ist nach den Umständen des Einzelfalls zu lösen.
Unterhaltsentscheidungen sind grundsätzlich Ermessensentscheidungen und keine reinen Rechenexempel. Die Ermittlung des Unterhaltsanspruchs mit einem bestimmten Prozentsatz der Bemessungsgrundlage wird vom OGH als geeignetes Mittel zur Gleichbehandlung ähnlicher Fälle angesehen. Damit ist gewährleistet, dass die Unterhaltsberechtigte an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen angemessen teilhaben kann. Die Prozentmethode hat den Charakter einer Orientierungshilfe; besonders atypische Fälle erfordern eine den tatsächlichen Verhältnissen angepasste individuelle Berücksichtigung der Bemessungskriterien.
Unterhalt muss den gesamten Lebensbedarf der Unterhaltsberechtigten, also alle ihre Unterhaltsbedürfnisse, den Lebensverhältnissen entsprechend ausgewogen abdecken, darf aber nicht zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Überalimentation in einem Teilbereich bei gleichzeitiger Kürzung in einem anderen Teilbereich der Bedürfnisse führen.
Der Unterhaltsanspruch von Kindern, gleichviel ob ehelich oder unehelich, die im Haushalt des Unterhaltspflichtigen leben, ist grundsätzlich auf Naturalunterhalt gerichtet und verwandelt sich nach der Rsp erst bei getrenntem Haushalt oder Verletzung der Naturalunterhaltspflicht in einen Anspruch auf Geldunterhalt. Der aus dem Familienrecht abgeleitete Anspruch des unterhaltsberechtigten Kindes auf Naturalunterhalt durch Wohnversorgung wandelt sich nicht schon dadurch in einen solchen auf Geldunterhalt, dass der Unterhaltspflichtige aus der Wohnung auszieht; in einem solchen Fall hat das Kind das Recht, die Wohnung weiter zu benutzen und dennoch darüber hinaus zur Befriedigung seiner übrigen Bedürfnisse Geldunterhalt zu verlangen.
Hat die Unterhaltsberechtigte daher nicht für die Kosten der Wohnversorgung aufzukommen, weil diese vom Geldunterhaltspflichtigen geleistet wird, so bedarf sie regelmäßig nicht mehr des gesamten festgesetzten Geldunterhalts, um ihren vollständigen Unterhalt zu decken. Der Naturalunterhalt ist grundsätzlich nur im angemessenen Umfang anzurechnen; der Unterhaltsberechtigten hat stets ein in Geld zu leistender Unterhalt zuzukommen, weil sie von der Wohnung allein nicht leben kann. Nach der Rsp ist regelmäßig dann, wenn sich der Geldunterhalt (rechnerisch) aufgrund der Wohnversorgung um mehr als ein Viertel mindern würde, zu überprüfen, ob der Restunterhalt noch zur angemessenen Deckung der Restbedürfnisse ausreicht. Wo diese Angemessenheitsgrenze liegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
Mit dem Argument, dass kein Geldunterhaltsanspruch bestehe, geht der Revisionsrekurswerber nicht von der dargelegten Rsp aus, wonach bei einer – im hier relevanten Zeitraum festgestellten – Aufhebung des gemeinsamen Haushalts mit der Minderjährigen ihr jedenfalls ein Geldunterhalt zur Deckung der über die Wohnkosten hinausgehenden Bedürfnisse zusteht. Die Entscheidungen der Vorinstanzen, dass die Leistung von Naturalunterhalt nicht hinreicht, sondern grundsätzlich ein die Wohnkosten angemessen berücksichtigender Geldunterhalt zu leisten ist, sind vor diesem Hintergrund nicht korrekturbedürftig.
Soweit der Vater die Anrechnung der Leistung eines Naturalunterhaltsteiles für die Mutter zugunsten der Minderjährigen anspricht, zeigt er ebenfalls keine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen auf. Maßgebend sind die Wohnkostenersparnis der Unterhaltsberechtigten und der Umstand, dass diese nicht für die Kosten ihrer Wohnversorgung aufkommen muss. Aus diesem Grund mindert sich ihr Unterhaltsanspruch grundsätzlich um den auf sie entfallenden Anteil am fiktiven Mietwert, wenn sie für die Wohnung keine Kosten aufwenden muss. Die fiktiven Mietkosten sind – im Ehegatten- ebenso wie im Kindesunterhalt – idR nach Köpfen auf alle die Wohnung nutzenden Personen aufzuteilen.
Abgesehen davon, dass im relevanten Zeitraum neben der Mutter auch noch der die Wohnung ebenfalls bewohnende damals minderjährige Bruder bei der Kopfaufteilung der (nach den Feststellungen durchschnittlich rund 1.250 EUR betragenden) Wohnungsmiete zu berücksichtigen wäre, dürfte auch eine interne Vereinbarung zwischen den Eheleuten, dass eine Naturalleistung an die Mutter als Unterhalt für die Kinder anzusehen sei, nicht dazu führen, dass für die (sonstigen, nicht in Wohnkosten bestehenden) laufenden Ausgaben für die Kinder nur mehr ein unzureichender Betrag verbliebe. Dass diesbezüglich eine pflegschaftsgerichtlich genehmigte Vereinbarung vorläge, wurde gar nicht behauptet; selbst wenn fiktive Wohnkosten in Ansehung der Mutter in Anschlag zu bringen wären, könnten diese im Übrigen nur soweit als den Lebensbedarf der Kinder deckende (und deshalb geldunterhaltsmindernde Natural-)Unterhaltsleistungen berücksichtigt werden, als sie deren Wohnbedarf befriedigen. Die angestrebte überwiegende oder gar gänzliche Deckung des Unterhaltsanspruchs durch Naturalunterhalt ist mit diesen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen.
Warum aus dem Hinweis des Revisionsrekurswerbers, die Wohnkosten machten aufgrund der überdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse der Familie nur einen prozentuell geringeren Anteil des Einkommens (16 %) als bei Durchschnittsfamilien (22,3 %) aus, gerade ein höherer Abzug an fiktiven Wohnkosten vom Geldunterhalt der Minderjährigen ableitbar sein sollte, ist nicht nachvollziehbar.
Durch die weitere Behauptung, aufgrund der überdurchschnittlichen Lebensverhältnisse wäre der Gesamtunterhaltsanspruch statt um nur ein Viertel um zumindest ein Drittel bzw um den vollen Kopfteil des auf die Minderjährige entfallenden Naturalunterhalts zu kürzen gewesen, wird keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der Vorinstanzen aufgezeigt: Deren Bemessung des ungekürzten Unterhalts in rund 2,2-facher bzw des zugesprochenen Unterhalts in rund 1,6-facher Höhe des Regelbedarfssatzes, der einerseits zur angemessenen Deckung der Restbedürfnisse noch ausreiche und andererseits der Minderjährigen ermögliche, an den gehobenen Lebensverhältnissen des Vaters teilzuhaben, begegnet gerade vor dem Hintergrund der auch vom Revisionsrekurswerber betonten überdurchschnittlichen Lebensverhältnisse keinen im Einzelfall aufzugreifenden Bedenken.