01.01.2019 Wirtschaftsrecht

OGH: Zum Stimmrechtsausschluss nach § 39 Abs 4 GmbHG

Das Gesetz kennt zwar kein generelles Stimmverbot bei jeder Art von Interessenkollision, allerdings kann § 39 Abs 4 GmbHG auch analog angewendet werden; die Auffassung des Berufungsgerichts, die Mehrheitsgesellschafterin habe sich bei der Beschlussfassung darüber, ob die Beschlüsse über die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen sie nichtig sind, in einer die Anwendung des § 39 Abs 4 GmbHG rechtfertigenden Interessenkollision befunden, ist durchaus vertretbar; ist einer der Fälle des § 39 Abs 4 GmbHG gegeben, dann erfasst der Stimmrechtsausschluss grundsätzlich jedenfalls die Stimmabgabe selbst; das Stimmrecht entfällt aber auch bei Entscheidungen zu Verfahrensfragen, die auf den jeweiligen Beschlussantrag unmittelbaren Einfluss haben, wie beispielsweise die Absetzung von der Tagesordnung oder die Vertagung; wenn dem Gesellschafter durch den Stimmrechtsausschluss der Einfluss auf die Verbandsentscheidung verwehrt wird, muss er auch daran gehindert werden, durch Entscheidungen zum Abstimmungsverfahren darauf Einfluss nehmen zu können


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, Stimmrechtsausschluss, Interessenkollision, Erledigung eines Rechtsstreites
Gesetze:

 

§ 39 GmbHG

 

GZ 6 Ob 191/18h, 21.11.2018

 

OGH: In der Generalversammlung vom 12. 7. 2017 wurde mit der Stimme der Mehrheitsgesellschafterin gegen jene der Klägerin der Beschluss auf Feststellung der Nichtigkeit und Aufhebung der am 26. 5. 2017 gefassten Scheinbeschlüsse gefasst. Das Berufungsgericht bejahte einen Stimmrechtsausschluss der Mehrheitsgesellschafterin nach § 39 Abs 4 GmbHG, erklärte den Beschluss vom 12. 7. 2017 für nichtig und stellte fest, dass der diesem Beschluss zugrunde gelegene Antrag abgelehnt worden sei.

 

Bei § 39 Abs 4 GmbHG geht es zum einen um eine Variation der Regeln über das In-Sich-Geschäft, zum anderen um die Durchsetzung des Gedankens, dass niemand Richter in eigener Sache sein soll. Dabei handelt es sich um institutionell bedingte Interessenkonflikte, die es notwendig machen, sich im Interesse der Richtigkeitsgewähr der Verbandswillensbildung nicht allein mit der Ausübungskontrolle unter Missbrauchsgesichtspunkten zu begnügen, sondern das Stimmrecht überhaupt auszuschließen. Die Stimmverbote greifen bei den im Gesetz festgelegten Interessenkonflikten als starre Schranke ein, ohne dass zu prüfen wäre, ob die gesellschaftsinterne Willensbildung tatsächlich beeinträchtigt wäre.

 

§ 39 Abs 4 GmbHG erfasst ua Beschlüsse betreffend die Einleitung oder Erledigung von Rechtsstreiten zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern. Damit ist etwa bei einem Antrag, einen von der Gesellschaft an einen Gesellschafter bezahlten Betrag von diesem zurückzuverlangen, der betreffende Gesellschafter nicht stimmberechtigt. Bei Rechtsstreitigkeiten greift das Stimmverbot, anders als beim Abschluss von Rechtsgeschäften, in jedem Fall, also auch bei allen sozietär begründeten Rechtsstreitigkeiten. Für die Anwendbarkeit des Stimmrechtsverbots ist es weder erforderlich, dass der angestrebte Prozess mit einer Sanktion gegen den Gesellschafter zu tun hat, noch kann es auf dieser Entscheidungsebene für die Zulassung zur Abstimmung auf eine Günstigkeitsprognose ankommen.

 

Die Frage, ob und wie der Anspruch der Gesellschaft in einem Rechtsstreit verfolgt werden soll, ist bereits vom Stimmverbot erfasst; dies gilt auch für die Frage, ob ein Anspruch überhaupt geltend gemacht werden soll. Als „Einleitung eines Rechtsstreits“ ist jede mit der eigentlichen Prozessführung verbundene prozessuale Handlung zu verstehen, einschließlich unmittelbar vorgelagerter Aktionen wie die Bestellung eines Prozessvertreters. Überhaupt fängt die Einleitung des Rechtsstreits nicht erst mit Klage oder Antragstellung an; früher liegende Vorbereitungsmaßnahmen, wie etwa eine Weisung an die Geschäftsführer, einen Anspruch geltend zu machen, sind einzubeziehen.

 

Mit dem daneben vom Gesetz erfassten Fall der „Erledigung“ eines Rechtsstreits sind nicht nur Maßnahmen gemeint, die auf eine Beendigung desselben hinzielen, sondern alle Handlungen, die den Fortgang des Verfahrens betreffen, so etwa auch die Entscheidung darüber, ob ein Rechtsmittel eingelegt werden soll oder auch etwa Klagsrücknahme, Vergleich, Anerkenntnis, Rechtsmittel einschließlich der Frage, ob sich die Gesellschaft in einen Rechtsstreit überhaupt einlassen soll. Generell sind die Begriffe „Einleitung und Erledigung eines Rechtsstreits“ in einem weiten Sinn zu verstehen.

 

Das Gesetz kennt zwar kein generelles Stimmverbot bei jeder Art von Interessenkollision, allerdings kann § 39 Abs 4 GmbHG auch analog angewendet werden. Dabei ist die ratio der Vorschrift entscheidend: Das Stimmverbot darf nur auf Fälle erstreckt werden, die von einer den gesetzlich normierten Tatbeständen vergleichbaren institutionell bedingten Interessenkollision gekennzeichnet sind. Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Mehrheitsgesellschafterin habe sich bei der Beschlussfassung darüber, ob die Beschlüsse über die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen sie nichtig sind, in einer die Anwendung des § 39 Abs 4 GmbHG rechtfertigenden Interessenkollision befunden, durchaus vertretbar:

 

Bei der Beschlussfassung vom 26. 5. 2017 ging es darum, dass die Gesellschaft gegen die Mehrheitsgesellschafterin verschiedene Ansprüche gerichtlich geltend zu machen habe; dass die Mehrheitsgesellschafterin bei dieser Beschlussfassung einem Stimmverbot unterlegen wäre, bedarf im Hinblick auf § 39 Abs 4 GmbHG keiner weiteren Erörterung. Bei der Beschlussfassung vom 12. 7. 2017 ging es darum zu klären, ob die vorangegangenen Beschlüsse nichtig sind; eine Frage, die auch in einem gerichtlichen Feststellungsverfahren hätte geklärt werden können. Die Überlegung, dass die Beschlüsse vom 26. 5. 2017 ohnehin ein rechtliches Nichts seien, geht deshalb ins Leere.

 

Nicht zu beanstanden ist außerdem die Überlegung des Berufungsgerichts, die Beschlussfassung vom 12. 7. 2017 habe sich nicht bloß auf die deklarative Feststellung einer absoluten Nichtigkeit beschränkt, sondern außerdem für den Fall, dass es sich bei dem ursprünglichen Beschluss um einen rechtswirksam zustande gekommenen Gesellschafterbeschluss gehandelt haben sollte, konstitutiv auf dessen Aufhebung und damit das Absehen von einer Einleitung eines Rechtsstreits gegen die Mehrheitsgesellschafterin bezogen.

 

Ist einer der Fälle des § 39 Abs 4 GmbHG gegeben, dann erfasst der Stimmrechtsausschluss grundsätzlich jedenfalls die Stimmabgabe selbst. Das Stimmrecht entfällt aber auch bei Entscheidungen zu Verfahrensfragen, die auf den jeweiligen Beschlussantrag unmittelbaren Einfluss haben, wie beispielsweise die Absetzung von der Tagesordnung oder die Vertagung. Wenn dem Gesellschafter durch den Stimmrechtsausschluss der Einfluss auf die Verbandsentscheidung verwehrt wird, muss er auch daran gehindert werden, durch Entscheidungen zum Abstimmungsverfahren darauf Einfluss nehmen zu können. Damit betraf aber die Beschlussfassung vom 12. 7. 2017 letztlich ebenfalls die Frage, ob nun die Gesellschaft gegen die Mehrheitsgesellschafterin Ansprüche geltend zu machen hat, weshalb die Mehrheitsgesellschafterin bei dieser Beschlussfassung dem Stimmverbot nach § 39 Abs 4 GmbHG unterlag.