OGH: § 1304 ABGB – Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit iZm Anlageberaterhaftung
Bei volatilen Werten kann der Schädiger dem Anleger den Einwand der Schadensminderungsobliegenheit bei Verkauf oder Behalten nur dann entgegenhalten, wenn die Verkaufs- oder Behalteobliegenheit dem Anleger zumutbar war; da bei Wertpapieren im Regelfall die Kursentwicklung keine sicheren Schlüsse des einzelnen Anlegers auf Unternehmenswert und objektiven Wert seiner Beteiligung zulässt, ist eine schuldhafte Verletzung der Verkaufs- oder Behalteobliegenheit des Anlegers nur in besonderen Fallkonstellationen zu bejahen
§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB
GZ 4 Ob 59/18g, 25.09.2018
OGH: Ob eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit vorliegt, ist nicht ex post, sondern ex ante zu beurteilen, und zwar danach, ob der Geschädigte schuldhaft eine ihm zumutbare Handlung unterlassen hat, die von einem Durchschnittsmenschen gesetzt worden und bei objektiver Betrachtung geeignet gewesen wäre, den Schaden zu vermindern. Dies hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab.
Wird aufgrund dieser Prüfung eine Handlungspflicht des Geschädigten bejaht, ist in einem weiteren Schritt zu fragen, ob die gebotene, jedoch unterlassene Handlung die Vergrößerung des Schadens tatsächlich verhindert hätte. Es muss versucht werden, den hypothetischen Ablauf bei Vermeiden der Unterlassung durch Setzen des gebotenen Verhaltens herauszufinden. Das gebotene Verhalten ist hinzuzudenken. Diese Prüfung der natürlichen Kausalität erfolgt notwendigerweise ex post und ist dem Tatsachenbereich zuzuordnen.
Ein Anleger darf zwar nicht auf Kosten des Schädigers spekulieren. Bei volatilen Werten kann der Schädiger dem Anleger den Einwand der Schadensminderungsobliegenheit bei Verkauf oder Behalten aber nur dann entgegenhalten, wenn die Verkaufs- oder Behalteobliegenheit dem Anleger zumutbar war. Da bei Wertpapieren im Regelfall die Kursentwicklung keine sicheren Schlüsse des einzelnen Anlegers auf Unternehmenswert und objektiven Wert seiner Beteiligung zulässt, ist eine schuldhafte Verletzung der Verkaufs- oder Behalteobliegenheit des Anlegers nur in besonderen Fallkonstellationen zu bejahen.
Im vorliegenden Fall ist aus dem Sachverhalt nicht abzuleiten, dass der Kläger bei gebotener Sorgfalt erkennen hätte können, dass eine Konvertierung im Jahr 2012 im Hinblick auf die weitere Ungewissheit der Kursentwicklung vorteilhaft, mit anderen Worten eine Verschlechterung des Kurses zu erwarten gewesen wäre. Das Angebot der Bank erfolgte auf Nachfrage seines Rechtsvertreters; eine Empfehlung, es anzunehmen, erhielt der unerfahrene Kläger nicht. Aus dem Schreiben der Bank ging auch nicht hervor, dass eine sofortige Konvertierung vorteilhaft sei. Wenn daher das Berufungsgericht im Ergebnis die Zumutbarkeit der Annahme des vorzeitigen Konvertierungsangebots der Bank durch den Kläger verneinte, ist dies angesichts der Komplexität des Investitionsmodells nicht zu beanstanden.
Die in diesem Zusammenhang von der Revision unter Verweis auf 1 Ob 118/16h ausschließlich relevierte Frage, ob der Beklagten eine unrichtige Halteempfehlung durch den Rechtsanwalt des Klägers zurechenbar wäre, kann dahinstehen, zumal eine derartige Empfehlung hier nicht festgestellt ist. Dem Kläger wurde bloß nicht zugeraten und ihm auch sonst die vermeintliche Vorteilhaftigkeit einer sofortigen Konvertierung nicht verdeutlicht.
Obwohl der Geschädigte grundsätzlich nicht verpflichtet ist, zur Beurteilung seiner Schadensminderungsobliegenheit sachverständigen Rat einzuholen, hat der Kläger hier immerhin einen Steuerberater und einen Rechtsanwalt kontaktiert. Abgesehen davon, dass ein Rechtsanwalt nicht ohne Weiteres als Fachmann für die Entwicklung von Fremdwährungskursen gelten kann, waren beide – worauf die Revision selbst verweist – ausschließlich im Interesse des Klägers tätig; ihre Beauftragung hatte nicht den Zweck, die Beklagte zu entlasten.