OGH: 14tägige Revisionsrekursfrist (§ 65 AußStrG) iZm Feststellung des Erbrechts (§§ 161 ff AußStrG) verfassungswidrig?
Der Senat ist der Auffassung, dass die bloß 14tägige Frist für den Revisionsrekurs gegen Entscheidungen über die Feststellung des Erbrechts – also in einer „streitigen“ Materie des Außerstreitverfahrens – in sachlich nicht gerechtfertigter Weise von der Regelung für vergleichbare Rechtsmittel in streitigen Verfahren nach der ZPO und in anderen „streitigen“ Materien des Außerstreitverfahrens abweicht; sie kann nicht durch den Rechtsfürsorgecharakter des (traditionellen) Außerstreitverfahrens oder durch ein besonderes Interesse an einer raschen Erledigung der Sache gerechtfertigt werden; soweit der bisherigen Rsp auch für „streitige“ Materien des Außerstreitverfahrens Gegenteiliges entnommen werden könnte, hält der Senat das nicht aufrecht
§ 65 AußStrG, § 161 ff AußStrG, Art 7 B-VG
GZ 2 Ob 157/18d, 30.10.2018
OGH: Bis zur Erlassung des (neuen) AußStrG waren die Parteien im Fall widersprechender Erbserklärungen auf den Rechtsweg zu verweisen, wobei das Außerstreitgericht nur die Parteirollen festzulegen hatte (§ 125 AußStrG 1854). Die Entscheidung über das bessere Erbrecht erfolgte daher in einem Zivilprozess, was zur Anwendung der dort geltenden Rechtsmittelfristen (einschließlich der Regeln über die Fristenhemmung während der Gerichtsferien) führte. Damit hing die Länge der Rechtsmittelfristen nicht davon ab, ob der Streit über das bessere Erbrecht vor der Einantwortung (Erbrechtsklage iSv § 125 AußStrG 1854) oder danach (Erbschaftsklage iSv § 823 ABGB) geführt wurde. Das war sachgerecht, da beide Verfahren grundsätzlich dieselben Rechtsfragen – zB die Testierfähigkeit oder die materielle und formelle Gültigkeit und die Auslegung von Testamenten – betreffen konnten und auch dieselben wirtschaftlichen Auswirkungen hatten.
Mit den §§ 161 ff AußStrG wurde der vor der Einantwortung geführte Streit über das bessere Erbrecht – ohne dass sich dessen möglicher Inhalt geändert hätte – vom Zivilprozess in das Außerstreitverfahren verlagert. Das führte zu Rechtsmittelfristen von 14 Tagen und zur Unanwendbarkeit der (nun) in § 222 ZPO vorgesehenen Fristenhemmung zum Jahreswechsel und im Sommer. Ein Rekurs oder Revisionsrekurs gegen einen am 21. Dezember 2018 zugestellten Beschluss über die Feststellung des Erbrechts (§ 161 Abs 1 AußStrG) wäre daher bis zum 4. Jänner 2019 einzubringen, während die Frist für die Berufung oder Revision gegen ein Urteil in einem inhaltlich dieselben Fragen betreffenden Erbschaftsprozess (§ 823 ABGB) erst am 1. Februar 2019 endete. Die Rechtsmittelfristen im Verfahren über das Erbrecht sind daher jedenfalls um 14 Tage kürzer als jene im Erbschafts- und früher im Erbrechtsprozess; wäre im Prozess die Fristenhemmung nach § 222 ZPO anwendbar, läge eine noch deutlichere Verkürzung vor.
Ein Grund für diese Differenzierung ist nicht erkennbar. Die Anforderungen an den Inhalt eines Rekurses oder Revisionsrekurses entsprechen grundsätzlich jenen bei einer Berufung oder Revision; der Rechtsmittelwerber hat den geltend gemachten Rechtsmittelgrund auszuführen und bei Rechtsmitteln an den OGH auch das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage darzutun (§ 502 Abs 1 ZPO, § 62 Abs 1 AußStrG). Dabei kann die Rechtslage im Verfahren nach den §§ 161 ff AußStrG sogar noch komplexer sein als in einem Erbschafts- oder (früheren) Erbrechtsprozess, weil nun nicht nur zwischen zwei Parteien das bessere, sondern uU zwischen mehreren Parteien das beste Erbrecht festzustellen ist. Die Ermöglichung eines solchen Mehrparteienverfahrens war im Übrigen das Hauptargument für die Verlagerung des Erbrechtsstreits in das Außerstreitverfahren, wobei aber auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Außerstreitgesetzes anerkannten, dass „der 'Streit um das Erbrecht' verfahrensstrukturell einen vom mehr verwaltenden Charakter des Abhandlungsverfahrens verschiedenen Aufbau und Ablauf aufweist, weshalb der streitähnliche Charakter dieses Verfahrensteils nicht völlig geleugnet werden kann.“
Auf dieser Grundlage können die bloß 14tägigen Rechtsmittelfristen auch nicht mit einem besonderen Interesse an einem raschen Abschluss des Verlassenschaftsverfahrens gerechtfertigt werden. Denn zur Verwaltung des Nachlasses ist bei widerstreitenden Erbantrittserklärungen, wenn erforderlich, ein Verlassenschaftskurator zu bestellen (§ 173 Abs 1 AußStrG), sodass der Rechtsfrieden für die Dauer des Erbrechtsstreits ohnehin gewahrt ist; es ist daher nicht erforderlich, diesen Streit in besonderer Weise zu beschleunigen, um das Verlassenschaftsverfahren zu einem raschen Ende führen zu können. Der Entfall der in § 222 ZPO vorgesehenen Fristenhemmung läge zwar wohl noch im Regelungsspielraum des Gesetzgebers, wenn die Rechtsmittelfristen als solche vier Wochen betrügen; insofern enthält ja auch § 222 Abs 2 ZPO differenzierende Regelungen für bestimmte Verfahren. Bei einer bloß 14tägigen Frist kann aber (auch) das Unterbleiben der Hemmung zu einer sachlich nicht mehr zu rechtfertigenden Verkürzung des Rechtsschutzes führen.
Eine unsachliche Differenzierung besteht im Übrigen nicht nur gegenüber der Rechtslage im Zivilprozess, sondern auch gegenüber den Sonderregeln des Außerstreitverfahrens für bestimmte „streitige“ Materien. Nach Ansicht des Senats fehlt eine sachliche Rechtfertigung, bestimmte wohnrechtliche Verfahren – etwa zur Rückforderung einer unzulässigen Ablöse – in Bezug auf die Rechtsmittelfristen dem Zivilprozess anzugleichen, nicht aber Verfahren über die Feststellung des Erbrechts. Denn diese betreffen regelmäßig deutlich höhere Streitwerte und sind inhaltlich zumindest in tatsächlicher Hinsicht (zB Feststellungen zur Testierfähigkeit, zu Willensmängeln oder zu Fragen der Echtheit eines Testaments) nicht weniger komplex als jene. Die 14tägige Frist führt daher auch innerhalb des Regelungskonzepts des Außerstreitverfahrens zu einem Verstoß gegen Art 7 B-VG.
Aus diesen Gründen ist der Senat der Auffassung, dass die bloß 14tägige Frist für den Revisionsrekurs gegen Entscheidungen über die Feststellung des Erbrechts – also in einer „streitigen“ Materie des Außerstreitverfahrens – in sachlich nicht gerechtfertigter Weise von der Regelung für vergleichbare Rechtsmittel in streitigen Verfahren nach der ZPO und in anderen „streitigen“ Materien des Außerstreitverfahrens abweicht. Sie kann nicht durch den Rechtsfürsorgecharakter des (traditionellen) Außerstreitverfahrens oder durch ein besonderes Interesse an einer raschen Erledigung der Sache gerechtfertigt werden. Soweit der bisherigen Rsp auch für „streitige“ Materien des Außerstreitverfahrens Gegenteiliges entnommen werden könnte, hält der Senat das nicht aufrecht.
Der Senat verkennt nicht, dass es dem Gesetzgeber nach der Rsp des VfGH grundsätzlich offensteht, sich in unterschiedlichen Verfahrensbereichen für eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen, sofern nur die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform ausgestaltet sind. Allerdings wurden in anderen Erkenntnissen die Regelung derselben Materie in unterschiedlichen Verfahrensgesetzen als Ansatzpunkt für eine vergleichende Prüfung herangezogen, wenn systemübergreifende Wertungsgesichtspunkte die unterschiedliche verfahrensrechtliche Ausgestaltung als sachfremd und daher verfassungswidrig erscheinen ließen. Ein solcher systemübergreifender Gesichtspunkt sind hier die grundsätzlich übereinstimmenden Anforderungen, denen ein Rechtsmittel gegen eine Sachentscheidung im Streit über das Erbrecht zu entsprechen hat, und zwar unabhängig davon, ob es im streitigen (Erbschaftsklage) oder im außerstreitigen Verfahren erhoben werden muss. Zudem besteht eine unsachliche Differenzierung auch innerhalb des Außerstreitverfahrens, weil an sich gleichwertige „streitige“ Angelegenheiten in Bezug auf die Rechtsmittelfristen unterschiedlich behandelt werden.