27.08.2018 Zivilrecht

OGH: Zur Haftung des Wohnungseigentumsorganisators für ausständige Erhaltungsarbeiten

Der Terminus „Erhaltungsarbeit“ in § 37 Abs 4 WEG 2002 ist iSd § 28 Abs 1 Z 1 WEG 2002 und damit im Einklang mit § 3 Abs 1 und 2 MRG auszulegen


Schlagworte: Wohnungseigentumsrecht, Begründung von Wohnungseigentum an Altbauten, Gewährleistung, Haftung für nicht durchgeführte Erhaltungsarbeiten
Gesetze:

 

§ 37 WEG 2002, § 28 WEG 2002, § 3 MRG, § 922 ABGB

 

GZ 6 Ob 101/18y, 28.06.2018

 

OGH: Gem § 37 Abs 4 WEG 2002 haben die Wohnungseigentumsorganisatoren vor oder mit der Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum an Teilen eines Hauses, dessen Baubewilligung zum Zeitpunkt der Zusage älter als 20 Jahre ist, dem Wohnungseigentumsbewerber ein Gutachten eines für Hochbau zuständigen Ziviltechnikers oder eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für das Hochbauwesen über den Bauzustand der allgemeinen Teile des Hauses, insbesondere über in absehbarer Zeit (ungefähr 10 Jahre) notwendig werdende Erhaltungsarbeiten, zu übergeben. Das Gutachten darf zum Zeitpunkt der Zusage nicht älter als ein Jahr sein und ist in den Kaufvertrag über den Liegenschaftsanteil, an dem Wohnungseigentum erworben werden soll, einzubeziehen. Mit dieser Einbeziehung gilt der im Vertrag beschriebene Bauzustand als bedungene Eigenschaft iSd § 922 Abs 1 ABGB. Erfolgt keine Einbeziehung eines solchen Gutachtens in den Kaufvertrag, gilt ein Erhaltungszustand des Hauses als vereinbart, der in den nächsten 10 Jahren keine größeren Erhaltungsarbeiten erfordert. § 37 Abs 4 WEG 2002 ist vertraglich nicht abdingbar und eine gesetzlich typisierte Gewährleistungspflicht.

 

Der Terminus „Erhaltungsarbeit“ in § 37 Abs 4 WEG 2002 ist iSd § 28 Abs 1 Z 1 WEG 2002 und damit im Einklang mit § 3 Abs 1 und 2 MRG auszulegen. Erhaltungsarbeiten sind alle Arbeiten, die der ordnungsgemäßen Erhaltung der gemeinsamen Teile und Anlagen der Liegenschaft dienen, einschließlich baulicher Änderungen, die über den Erhaltungszweck nicht hinausgehen. Dazu gehören die Behebung von Feuchtigkeitsschäden oder Schimmelbefall ebenso wie die Behebung statischer Mängel am Gebäude oder die Behebung der Undichtheit einer Terrasse oder einer Gasleitung. Durch die Verweisung des § 28 Abs 1 Z 1 WEG 2002 auf § 3 Abs 1 MRG ist klargestellt, dass mit „Erhaltung“ eine solche „im jeweils ortsüblichen Standard“ gemeint ist, sodass zweckmäßige und wirtschaftlich gebotene Erneuerungsarbeiten zur Erhaltung bestehender Anlagen noch zur Erhaltung gehören, auch wenn es sich um die erstmalige Herstellung eines mängelfreien Zustands handelt oder es dabei zu einer vollständigen Erneuerung kommt und dabei sogar Veränderungen vorgenommen werden. Demnach zählen etwa auch die Aufbringung eines äußeren Fassadenvollwärmeschutzes und der Einbau neuer Fenster zu den Erhaltungsarbeiten.

 

Um die dem einzelnen Wohnungseigentümer sonst eingeräumte Möglichkeit, den anderen Wohnungseigentümern eine „permanente Modernisierung“ der Liegenschaft aufzuzwingen, zu vermeiden, ist dem Erhaltungsbegriff im Kontext des § 3 Abs 1 MRG und des § 28 Abs 1 Z 1 WEG 2002 allerdings ein restriktives Verständnis zu unterlegen: Das in Frage stehende Individualrecht sollte historisch dem Einzelnen lediglich Abhilfe gegen eine ihm geradezu unzumutbare Untätigkeit der Mehrheit im Hinblick auf die Erhaltung des Hauses bieten. Ein wesentliches Kriterium für die Durchsetzbarkeit der von einem Wohnungseigentümer begehrten Erhaltungsmaßnahmen ist deren Dringlichkeit. Weiters muss eine Reparaturbedürftigkeit oder zumindest Schadensgeneigtheit vorliegen, um von einer „Erhaltungsarbeit“ sprechen zu können.