VwGH: Rückkehrentscheidung – zur Interessenabwägung gem § 9 BFA-VG
Die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit ist im Rahmen der Interessenabwägung gem § 9 BFA-VG zu berücksichtigen
Art 8 EMRK, § 9 BFA-VG
GZ Ra 2018/22/0106, 21.06.2018
VwGH: Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung wendet, ist zunächst auf die stRsp des VwGH zu verweisen. Demnach ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rsp entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, nicht revisibel.
Das BVwG legte - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - ausreichend begründet dar, weshalb die Abwägung iSd Art 8 EMRK zu Ungunsten der Revisionswerberin ausfällt und warum es deshalb die Rückkehrentscheidung für zulässig erachtet. Dabei berücksichtigte das BVwG den unrechtmäßigen Aufenthalt der Revisionswerberin seit 11. November 2016 (vorher hatte sich die Revisionswerberin mit Unterbrechungen großteils legal seit August 2010 im Bundesgebiet aufgehalten), ihre mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit, geringe soziale Kontakte im Bundesgebiet einerseits und starke Bindungen in ihrem Heimatland andererseits (zwischen Juli 2013 und November 2014 hielt sich die Revisionswerberin ohne ihre Mutter in M auf und arbeitete dort als Tanzlehrerin). Zu Gunsten der Revisionswerberin führte das BVwG die Beziehung zu ihrer in Österreich lebenden Mutter, den Besuch der Handelsakademie, gute Deutschkenntnisse sowie eine geringfügige Beschäftigung von 1. Dezember 2015 bis 31. März 2016 an. Auch wenn das angefochtene Erkenntnis etwas langatmig Rechtssätze anführt, ohne deren fallbezogene Relevanz herauszuarbeiten, erscheint die Interessenabwägung dennoch vertretbar. Daran vermag auch die Vorlage einer Patenschaftserklärung (die für einen Aufenthaltstitel gem § 55 AsylG 2005 nicht vorgesehen ist) und einer Einstellungszusage nichts zu ändern.
Wenn das BVwG als anzuwendendes Recht neben § 9 Abs 2 BFA-VG auch § 11 Abs 3 NAG anführt, kann die Revisionswerberin dadurch jedenfalls nicht in Rechten verletzt werden, weil die beiden Bestimmungen wortident die Kriterien zur Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK wiedergeben. Die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit ist - entgegen der Ansicht der Revisionswerberin - nach stRsp des VwGH auch im Rahmen der Interessenabwägung gem § 9 BFA-VG zu berücksichtigen.