OGH: Haftung des Notars / Rechtsanwalts gegenüber potentiellen Erben (iZm nicht formgültig errichteten Widerruf des Testaments)?
Der Erbe erwirbt das Erbrecht nach § 536 Abs 1 ABGB mit dem Tod des Verstorbenen oder mit dem Eintritt einer aufschiebenden Bedingung; in diesem Zeitpunkt entsteht das subjektive Recht; vor diesem Zeitpunkt hat der Erbe auch kein abgeschwächtes Recht in Form einer Anwartschaft; für den Beklagten war im vorliegenden Fall lediglich erkennbar, dass nicht ein bestimmter Sohn alles erben sollte; der Erblasser wusste aber noch nicht, wie er sein Vermögen stattdessen verteilen wollte; dass der Erblasser mit dem Widerruf des Testaments die Interessen der Klägerin erkennbar mitverfolgt hätte, ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht; auch hatte der Beklagte nicht den Auftrag, im Interesse der Klägerin tätig zu werden
§§ 1295 ff ABGB, § 881 ABGB
GZ 6 Ob 94/18v, 28.06.2018
Der Vater der Klägerin errichtete am 7. 5. 2013 vor einem Notar ein Testament, mit dem er seinen Sohn Josef zum Alleinerben bestimmte und die Klägerin und andere Nachkommen auf den Pflichtteil setzte. Am 27. 5. 2013 suchte der Erblasser mit einem weiteren Sohn den Beklagten auf und teilte ihm mit, dass er sein Vermögen doch nicht so verteilen möchte, wie im Testament verfügt, er wisse aber noch nicht wie. Der Beklagte sagte ihm, dass er sein Testament auch gleich widerrufen könne. Der Erblasser wollte dies, weil er aber beim Schreiben Schwierigkeiten hatte, schrieb der Beklagte handschriftlich auf das Testament: „Widerrufe dieses Testament. F***** am 27. 5. 13.“ Der Erblasser unterschrieb diesen Zusatz; eine weitere Unterfertigung vor Zeugen fand nicht statt. Besprochen wurde auch, dass die landwirtschaftlichen Liegenschaften des Erblassers dem AnerbenG unterliegen. Der Beklagte sagte, dazu jetzt nichts sagen zu können, sondern sich das erst anschauen zu müssen. Er wollte dies tun, wenn der Erblasser wieder einen Termin mit ihm vereinbarte, wozu es jedoch nicht kam. Der Beklagte wurde nicht beauftragt, in dieser Erbschaftsangelegenheit weitere Schritte zu unternehmen. Für den Termin am 27. 5. 2013 verrechnete er kein Honorar und erhielt auch keines.
Der Erblasser verstarb am 2. 1. 2014. Im Verlassenschaftsverfahren bestand Einigkeit darüber, dass der Widerruf des Testaments rechtsunwirksam und der Abhandlung das Testament vom 7. 5. 2013 zugrunde zu legen ist.
OGH: Der Erbe erwirbt das Erbrecht nach § 536 Abs 1 ABGB mit dem Tod des Verstorbenen oder mit dem Eintritt einer aufschiebenden Bedingung. In diesem Zeitpunkt entsteht das subjektive Recht. Vor diesem Zeitpunkt hat der Erbe auch kein abgeschwächtes Recht in Form einer Anwartschaft.
Damit kommt für eine Haftung des Beklagten nur ein allfälliger Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter in Betracht. Entscheidend für die Frage, welche vertragsfremden Dritten in den Schutzbereich eines Vertrags einzubeziehen sind, ist immer die Auslegung des Vertrags nach den Umständen des Einzelfalls. Das bloße Vermögen eines Dritten ist idR nicht in den Schutzbereich eines Vertrags mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter einbezogen. Eine Ausnahme von dieser Regel ist dann gerechtfertigt, wenn die Hauptleistung gerade einem Dritten zukommen soll.
Für den Beklagten war im vorliegenden Fall lediglich erkennbar, dass nicht ein bestimmter Sohn alles erben sollte; der Erblasser wusste aber noch nicht, wie er sein Vermögen stattdessen verteilen wollte. Dass der Erblasser mit dem Widerruf des Testaments die Interessen der Klägerin erkennbar mitverfolgt hätte, ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht. Auch hatte der Beklagte nicht den Auftrag, im Interesse der Klägerin tätig zu werden.
Damit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt grundlegend von der der E 6 Ob 292/00k zugrunde liegenden Konstellation. Dort war es für den Rechtsanwalt offenkundig, dass die eingesetzte Erbin hätte begünstigt werden sollen. Im vorliegenden Fall teilte der Erblasser dem Beklagten demgegenüber nur mit, sein Testament widerrufen und später ein neues errichten zu wollen; er wisse noch nicht, wie er sein Vermögen verteilen wolle. Die gesetzliche Erbfolge wollte er nicht eintreten lassen.
In der E 7 Ob 568/86 wurde die Haftung eines Notars gegenüber einer Vermächtnisnehmerin verneint, die dem Notar vorwarf, den Willen der testierenden Erbtante nicht akkurat zu Papier gebracht zu haben. Der 7. Senat ging von einer hinreichenden Aufklärung der Erbtante durch den Notar und davon aus, dass der im Testament festgehaltene Wille dem tatsächlichen Willen der Erblasserin entsprach. Aus dieser Entscheidung ist für den Rechtsstandpunkt der Klägerin daher nichts zu gewinnen.
Die E 6 Ob 21/04p betrifft die Schutzwirkung eines Vertrags zu Gunsten Dritter iZm der Haftung eines Werkunternehmers für die Verletzung eines Dritten durch die Mangelhaftigkeit einer elektrischen Anlage. Anders als im vorliegenden Fall wurde dort in ein absolutes Recht eingegriffen, sodass sich die Entscheidung schon deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragen lässt.
Nicht zu beanstanden ist auch, wenn das Berufungsgericht davon ausging, dass den Beklagten keine Verpflichtung zur Aufklärung über das AnerbenG traf. Die Feststellungen sind diesbezüglich klar. Er hatte in dem Gespräch darauf hingewiesen, dass es hier spezielle Vorschriften gibt, er sich diese aber erst genau anschauen müsse; einen Auftrag dazu erhielt er nicht. Im Übrigen ist auch insoweit nicht zu erkennen, inwiefern die Klägerin durch das Vorgehen des Erblassers erkennbar begünstigt sein sollte.