06.08.2018 Strafrecht

OGH: Verhetzung nach § 283 StGB (hier: gegen Muslime auf Facebook)

Aufstacheln ist mehr als Auffordern und entspricht dem Begriff des Hetzens (§ 283 Abs 2 StGB idF BGBl I 2011/103); Hetze ist eine in einem Appell an Gefühle und Leidenschaften bestehende tendenziöse Aufreizung zu Hass und Verachtung; Hass ist eine menschliche Emotion scharfer und anhaltender Antipathie; bloß abfällige Herabsetzungen, aber auch beleidigende und verletzende Äußerungen, die nicht auf die Erweckung von Hassgefühlen gegen andere abzielen, genügen nicht


Schlagworte: Verhetzung, Facebook, öffentlich
Gesetze:

 

§ 283 StGB, § 69 StGB

 

GZ 15 Os 33/18v, 23.05.2018

 

OGH: Das Vergehen der Verhetzung nach § 283 Abs 1 Z 1 StGB begeht, wer öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, zu Gewalt gegen eine Kirche oder Religionsgesellschaft oder eine andere nach den vorhandenen oder fehlenden Kriterien der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, der Staatsangehörigkeit, der Abstammung oder nationalen oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, einer körperlichen oder geistigen Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe ausdrücklich wegen der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe auffordert oder zu Hass gegen sie aufstachelt.

 

Die Tathandlung besteht demnach in der Aufforderung zu Gewalt oder im Aufstacheln zu Hass. Aufstacheln ist mehr als Auffordern und entspricht dem Begriff des Hetzens (§ 283 Abs 2 StGB idF BGBl I 2011/103). Hetze ist eine in einem Appell an Gefühle und Leidenschaften bestehende tendenziöse Aufreizung zu Hass und Verachtung. Hass ist eine menschliche Emotion scharfer und anhaltender Antipathie. Bloß abfällige Herabsetzungen, aber auch beleidigende und verletzende Äußerungen, die nicht auf die Erweckung von Hassgefühlen gegen andere abzielen, genügen nicht.

 

Nach § 283 Abs 1 Z 2 StGB ist zu bestrafen, wer öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, in der Absicht die Menschenwürde anderer zu verletzen, eine der in § 283 Abs 1 Z 1 StGB bezeichneten Gruppen in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen.

 

Beschimpfen ist eine in beleidigenden Worten, Zeichen, Gebärden oder Handlungen zum Ausdruck gebrachte Missachtung eines anderen. Verächtlich macht derjenige, der den anderen als der Achtung seiner Mitmenschen unwert oder unwürdig hinstellt, ihn also deren Verachtung aussetzt.

 

Die Menschenwürde wird nur durch eine qualifizierte Beschimpfung verletzt, etwa wenn durch die Tathandlung den Angehörigen der angegriffenen Gruppe unmittelbar oder mittelbar das Recht auf Menschsein schlechthin abgesprochen wird, indem ihnen etwa das Lebensrecht als gleichwertige Bürger bestritten wird oder sie als minderwertige oder wertlose Teile der Gesamtbevölkerung dargestellt werden. Maßgebend ist, dass die der betreffenden Gruppe angehörenden Menschen im unverzichtbaren Kernbereich ihrer Persönlichkeit getroffen werden. Das trifft etwa zu, wenn sie als ethnisch, kulturell oder moralisch schlechthin minderwertig abqualifiziert werden.

 

Bei der Beurteilung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung handelt es sich um eine – der rechtlichen Beurteilung vorgelagerte – Tatfrage. Dabei ist der Bedeutungsinhalt einer inkriminierten Textstelle – ausgehend vom Wortsinn – aus dem Gesamtzusammenhang der mit den damit inhaltlich im Konnex stehenden Ausführungen zu ermitteln, sohin auf den situativen Kontext abzustellen, in den der fragliche Aussageinhalt einzuordnen ist.

 

In welchem Zusammenhang die angeführten Äußerungen verfasst wurden, konnte die Staatsanwaltschaft fallbezogen nur aus ihrem Inhalt selbst erschließen, weil jene Inhalte des sozialen Netzwerks Facebook, auf welche diese Äußerungen Bezug nehmen, den Akten nicht zu entnehmen sind.

 

Die Anklagebehörde hat ihrer Entscheidung über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens – die den Anfechtungsgegenstand einer nach § 23 Abs 1a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes bildet – allein den Wortlaut der auf Facebook veröffentlichten Äußerungen zugrunde gelegt. Die auf Basis der von der Staatsanwaltschaft herangezogenen Sachverhaltsgrundlage erfolgte rechtliche Beurteilung, die Äußerungen stellten weder ein Auffordern zu Gewalt noch ein Aufstacheln zu Hass dar (§ 283 Abs 1 Z 1 StGB), erweist sich jedoch als verfehlt.

 

Ausgehend von den Sachverhaltsannahmen der Staatsanwaltschaft in ihrer Einstellungserklärung ist in den von der Generalprokuratur bekämpften Äußerungen des Hans F***** ein Appell an Gefühle und Leidenschaften des angesprochenen Rezipientenkreises mit dem Ziel zu erblicken, Hass und Verachtung gegen die nach dem fehlenden Kriterium der österreichischen Staatsangehörigkeit definierte Gruppe der Flüchtlinge sowie die nach dem Kriterium der Religion definierte Gruppe der Moslems hervorzurufen. Denn die betreffenden Gruppen werden pauschal und generell („ausnahmslos“, „jeder von der EU aufgenommene Arsch“, „unter Generalverdacht stellen“) als „durch betrügerische Aussagen sich Asyl erschwindelnd“ Habende und „brutale Invasoren“ dargestellt, die „auf unsere Kosten das Leben finanzieren lassen wollen, uns hassen und ihre mittelalterlichen Lebensweisen aufdrängen“ und „ohne Gefühl für normalmenschliche Werte“ sowie „gewalttätig in verbaler und physischer Ebene“ seien, sodass man ihnen mit „weit brutalerer Gewalt“ (wobei diese Ankündigung mit Abbildungen von Hieb- und Stichwaffen illustriert wird) begegnen müsse und F***** zurückschlagen wolle. Diese Äußerungen sind erkennbar nicht auf einen sachlichen Diskurs abzielend, sondern appellativ und (negative) Emotionen ansprechend, indem sie – undifferenziert, ohne Abstufungen und einem bipolaren Deutungsschema („Wir“ - „Sie“) folgend – beim Rezipienten ein Bild der Bedrohung durch moralisch minderwertige Massen evozieren wollen. Dies wird noch durch die emotionalisierende, teils martialische („2-Fronten-Krieg“, „Kapitulation“, „Versklavung“) Wortwahl und Diktion sowie das Schriftbild (markanter Einsatz von Ausrufezeichen und Großschreibung) unterstrichen.

 

Da die von Hans F***** veröffentlichten Kommentare für zumindest 1094 andere Facebook-User einsehbar waren, erfolgte die Tatbegehung jeweils öffentlich (§ 69 StGB) auf eine Weise, dass sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde. Der Tatbestand der Verhetzung nach § 283 Abs 1 (iVm Abs 2) StGB war daher in objektiver Hinsicht erfüllt. Ausgehend vom gezeigten Verhalten und dem Wortlaut der Äußerungen des Hans F***** ist überdies das Vorliegen der subjektiven Tatseite in Bezug auf die Tatbestandsvariante des § 283 Abs 1 Z 1 StGB, bei der die Staatsanwaltschaft keine Aussage zum Vorsatz getroffen hat, sodass der OGH dieses Fehlen der Sachverhaltsgrundlage in freier Beweiswürdigung ersetzen durfte . Da die angeführten Äußerungen demnach mit gerichtlicher Strafe bedroht sind und die weitere Verfolgung des Hans F***** auch nicht sonst aus rechtlichen Gründen unzulässig gewesen wäre, steht die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis, das Ermittlungsverfahren gegen den Genannten wegen § 283 Abs 1 und Abs 2 StGB gemäß § 190 Z 1 StPO einzustellen, mit dem Gesetz nicht in Einklang.

 

Im Übrigen bringen diese Äußerungen in objektiver Hinsicht auch die Missachtung der angesprochenen Gruppen zum Ausdruck und stellen sie als (jedenfalls) minderwertige Teile der Gesamtbevölkerung dar, indem sie als „betrügerische Dreckskerle“, „ausnahmslos miese Betrüger, Abzocker der schlimmsten Sorte“, „Müslischeißkerle“, „Mörder“, „miese Charaktere“, „gewaltbereiter Abschaum“, „Müslsäue“, „Arsch“ und „Müslümbagage“ bezeichnet werden. Sie werden damit als ethnisch, kulturell und moralisch schlechthin minderwertig abqualifiziert, weshalb die für die geschützten Gruppen gebrauchten Bezeichnungen grundsätzlich auch geeignet sind, diese in der öffentlichen Meinung als der Achtung ihrer Mitmenschen unwürdig hinzustellen.

 

Die tatsächlichen Annahmen der Staatsanwaltschaft zum Fehlen der Erweislichkeit der subjektiven Tatseite in Richtung § 283 Abs 1 Z 2 StGB wurden jedoch von der Generalprokuratur nicht iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO angefochten.

 

Die aufgezeigte Gesetzesverletzung hat sich nicht zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt, sodass es mit ihrer Feststellung sein Bewenden hat.