OGH: Zum Werkbegriff des § 1 UrhG (Zeitungsschütten)
Für die „Untersuchung“, inwieweit die verwendeten Formelemente technisch bedingt sind, sind die objektiven Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale deutlich werden, maßgeblich
§ 1 UrhG, § 3 UrhG
GZ 4 Ob 101/18h, 11.06.2018
OGH: Das urheberrechtlich schützbare Werk muss neutral und objektiv umschrieben und für alle künstlerischen Phänomene und Entwicklungen offen sein. Ausgehend von einem offenen Kunstverständnis ist urheberrechtlicher Schutz allen schützenswerten geistigen Schöpfungen zu gewähren, die iwS als Kunst interpretierbar sind und ein Mindestmaß an Gestaltung aufweisen, das sie von anderen (ähnlichen) Produkten unterscheidet. Dieses Mindestmaß an formender Gestaltung wird im Urheberrecht als Originalität, Individualität, Eigenpersönlichkeit oder Eigentümlichkeit beschrieben. Für das Vorliegen eines Werks der bildenden Kunst ist entscheidend, dass das Schaffensergebnis objektiv als Kunst interpretierbar ist; diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn es mit den Darstellungsmitteln der bildenden Künste durch formgebende Tätigkeit hervorgebracht und zum Anschauen bestimmt ist. Technische Lösungen sind urheberrechtlich nicht schutzfähig, mag es für die technische Idee auch verschiedene Lösungsmöglichkeiten geben; Gegenstand des Urheberrechtsschutzes ist nur eine bestimmte Formung des Stoffs.
Die individuelle Erarbeitung einer funktionellen und zweckmäßigen technischen Lösung ohne besonderen ästhetischen Gehalt der Planung, in der kein besonderer künstlerisch-geistiger Formgedanke zum Ausdruck kommt, ist urheberrechtlich nicht geschützt (hier: Zeitungsschütten). Die Frage, ob sich in einem Werk Technik und Kunst verbinden und damit auch ein Kunstwerk iSd UrhG vorliegt, ist nur dadurch zu lösen, dass untersucht wird, inwieweit die verwendeten Formelemente technisch bedingt sind und inwieweit sie lediglich der Form halber, aus Gründen des Geschmacks, der Schönheit, der Ästhetik gewählt wurden. Es handelt sich also darum, ob die Form dem Techniker oder dem Künstler zuzurechnen ist. Ob eine Schöpfung urheberrechtlichen Schutz genießt, ist eine Rechtsfrage; ihre Beantwortung obliegt nicht dem Sachverständigen, sondern dem Gericht.
Der Vorgang der „Untersuchung“ bezieht sich auf das Werk und seine Formelemente und damit auf seine objektiven Eigenschaften und Gegebenheiten. Maßgeblich sind die objektiven Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale deutlich werden. Die rechtliche Beurteilung als Kunstwerk ist daher nicht abhängig von den bloß subjektiven Vorstellungen oder Erwägungen des Schöpfers, seiner Inspiration und seinem Schaffensvorgang oder von Meinungen und Eindrücken von Designexperten und anderen Dritten, sondern von der objektiven Gestalt des Werks.