VwGH: Ladung zwecks Beschaffung von Ersatzreisedokumenten, wenn (noch) keine durchsetzbare Rückkehrentscheidung iSd § 46 Abs 1 FPG besteht?
Die Zulässigkeit einer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz vorgenommenen Ladung eines Asylwerbers zum BFA (insbesondere) mit dem Zweck der Identitätsfeststellung iZm der beabsichtigten Einholung eines Ersatzreisedokumentes lässt sich nicht allein deshalb verneinen, weil noch keine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vorliegt; insofern greift die Begründung des BVwG im angefochtenen Erkenntnis zu kurz; es wäre vielmehr vom BVwG unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit insgesamt zu prüfen gewesen, ob die gegenständliche Ladung ausnahmsweise schon in diesem Stadium nötig war; insofern ist der Amtsrevision, in der klargestellt wird, dass es bei diesem Termin zu keiner Gegenüberstellung des Mitbeteiligten mit Botschaftsvertretern hätte kommen sollen, beizupflichten
§ 19 AVG, § 46 FPG, § 33 BFA-VG, § 108 FPG
GZ Ro 2018/21/0006, 29.05.2018
Das BVwG vertrat im angefochtenen Erkenntnis unter Bezugnahme auf die in § 46 Abs 1 und 2 FPG genannten Voraussetzungen die Auffassung, dass auch die "jederzeitige" Ermächtigung des BFA nach Abs 2a leg cit, bei der für den Fremden zuständigen ausländischen Behörde die für die Abschiebung notwendigen Bewilligungen (insbesondere Heimreisezertifikat oder Ersatzreisedokument) einzuholen, zwingend das Vorliegen einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung verlange. Erst dann sei das BFA jederzeit ermächtigt, entsprechende Amtshandlungen iSd § 46 Abs 2a oder 2b FPG zu setzen. Im gegenständlichen Fall existiere aber noch keine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, sodass auch die Voraussetzungen für die Erlassung des bekämpften Ladungsbescheides nicht gegeben seien. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rsp des VwGH zu der Frage fehle, ob die "jederzeitige" Ermächtigung des BFA, Amtshandlungen iSd § 46 Abs 2a oder 2b FPG zu setzen, auch in Bezug auf Fremde gelte, gegen die keine durchsetzbare Rückkehrentscheidung iSd § 46 Abs 1 FPG bestehe.
Das BFA schließt sich in der vorliegenden Revision (mit ergänzenden Ausführungen) der Zulässigkeitsbegründung des BVwG an, tritt jedoch der dem angefochtenen Erkenntnis in der Sache zugrunde gelegten Meinung entgegen. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme sei keine zwingende Voraussetzung für eine Ladung iZm der Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes. Das sei aus § 33 Abs 4 erster Fall BFA-VG zu folgern, wonach die Übermittlung personenbezogener Daten eines Asylwerbers an den Herkunftsstaat (unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit) bereits dann zulässig sei, wenn eine - wenn auch nicht rechtskräftige - vollinhaltliche Ab- oder Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz durch das BFA vorliege. Ladungen zwecks Beschaffung von Ersatzreisedokumenten seien somit auch dann zulässig, wenn eine Ausreiseverpflichtung des Fremden noch nicht feststehe, daher auch dann, wenn ein Beschwerdeverfahren gegen die Asylentscheidung und die aufenthaltsbeendende Maßnahme noch anhängig sei, wobei "naturgemäß gerade bei Asylwerbern", die aktive Verfolgung oder Schutzverweigerung durch den Herkunftsstaat behaupten, "die Verhältnismäßigkeit strikt zu beachten" sei. In diesem Fall seien somit Ladungen zwecks Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes nicht unzulässig, sofern die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe.
VwGH: Mit der Frage, ob Vorbereitungshandlungen des BFA zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes und in diesem Zusammenhang vorgenommene Ladungen zum BFA insbesondere mit dem Zweck der Identitätsfeststellung des Fremden generell das Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme voraussetzen, hatte sich der VwGH erst kürzlich aufgrund einer im Wesentlichen inhaltlich gleich argumentierenden Amtsrevision des BFA im Erkenntnis VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0012, zu befassen. Der VwGH traf in diesem Erkenntnis zu dieser Frage mit näherer Begründung, auf die gem § 43 Abs 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, unter Bedachtnahme auf die historische Entwicklung der maßgeblichen Normen und auf seine bisherige Judikatur mehrere grundlegende Aussagen für die bis 31. Oktober 2017 geltende Rechtslage auf Basis des FrÄG 2015.
Er kam dabei zunächst zu dem Ergebnis, dass sich aus der generellen, für alle Fremden geltenden Norm des § 108 FPG keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung für die Vornahme von die Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes vorbereitenden Handlungen ableiten lasse. Allerdings sei jedenfalls iZm Ladungen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der sich aus § 46 FPG ergebende Zweck eines Ersatzreisedokumentes, nämlich die - das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme voraussetzende - Abschiebung zu ermöglichen, einzubeziehen. In diesem Sinn sei der VwGH in Bezug auf die Frage der Notwendigkeit von solchen Ladungsbescheiden in zahlreichen Entscheidungen der Sache nach auch vom Erfordernis des Vorliegens einer (zumindest) durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme ausgegangen. Das lässt aber trotzdem - wie noch klarstellend zu ergänzen ist - einen dem BFA zuzubilligenden Spielraum, ausnahmsweise eine solche Ladung auch schon vor Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verfügen, wenn sie fallbezogen aus besonderen Gründen schon in diesem Stadium unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nötig iSd § 19 Abs 1 AVG ist. Insofern ist dem Standpunkt in der vorliegenden Amtsrevision im Ergebnis beizupflichten.
Das gelte - so lassen sich die weiteren Ausführungen im genannten Vorerkenntnis Ra 2018/21/0012 zusammenfassen - grundsätzlich auch für Asylwerber, allerdings mit der sich aus § 33 Abs 4 BFA-VG ergebenden Einschränkung, dass zur Beschaffung von notwendigen Einreisebewilligungen erforderliche personenbezogene Daten nur dann an den Herkunftsstaat übermittelt werden dürfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bereits ab- oder zurückgewiesen worden ist oder wenn dem Asylwerber ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt. Die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten von Asylwerbern zur Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes setze somit auch der angeführten Bestimmung zufolge nicht zwingend und generell voraus, dass bereits eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliege. Allerdings gelte auch für die in diesem Zusammenhang ergehende Ladung eines Asylwerbers (insbesondere) zur Identitätsfeststellung, dass sie - wie bei jedem anderen Fremden - schon in diesem Stadium nötig iSd § 19 Abs 1 AVG und damit verhältnismäßig sein muss. Das wird im gegenständlichen Verfahren offenbar auch von der Amtsrevisionswerberin so gesehen.
Schließlich wies der VwGH in seinem Erkenntnis Ra 2018/21/0012 noch darauf hin, dass die Ausnahmeregelung des zweiten Satzes des § 33 Abs 4 BFA-VG grundsätzlich nur die Voraussetzungen für die "Übermittlung" personenbezogener Daten eines Asylwerbers an den Herkunftsstaat regle, nicht jedoch die Voraussetzungen für die Erlangung von Daten aufgrund unmittelbarer und persönlicher Befragung eines Asylwerbers durch Botschaftsvertreter seines Herkunftsstaates. Diesbezüglich sei jedenfalls ergänzend zu beachten, dass es einem Asylwerber - außer es handle sich um einen Folgeantrag - idR nicht zumutbar sein werde, während des noch nicht rechtskräftig beendeten Verfahrens auf Gewährung von internationalem Schutz Vertretern des Herkunftsstaates gegenübergestellt und von diesen zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen befragt zu werden.
Diese Überlegungen treffen auch für die geltende Rechtslage zu. Ohne Auswirkung bleibt daher auch, dass § 46 Abs 2a FPG das BFA nunmehr "jederzeit" ermächtigt, bei der ausländischen Vertretungsbehörde die für die Abschiebung notwendigen Bewilligungen einzuholen. Rechtsgrundlage für die in diesem Zusammenhang ergehende Ladung bleibt nämlich § 19 AVG, deren Zulässigkeit ihre unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu beurteilende Notwendigkeit voraussetzt. Im Übrigen soll nach den Gesetzesmaterialien zum FrÄG 2017 durch die Verwendung des Wortes "jederzeit" im Abs 2a des § 46 FPG (nur) klargestellt werden, dass ein amtswegiges Vorgehen gemäß dieser Bestimmung nicht erst nach einem vorhergehenden (erfolglos gebliebenen) Auftrag an den Fremden iSd Abs 2 zulässig ist.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund lässt sich die Zulässigkeit einer bereits nach erstinstanzlicher Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz vorgenommenen Ladung eines Asylwerbers zum BFA (insbesondere) mit dem Zweck der Identitätsfeststellung iZm der beabsichtigten Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht allein deshalb verneinen, weil noch keine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vorliegt. Insofern greift die Begründung des BVwG im angefochtenen Erkenntnis zu kurz. Es wäre vielmehr vom BVwG unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit insgesamt zu prüfen gewesen, ob die gegenständliche Ladung ausnahmsweise schon in diesem Stadium nötig war. Insofern ist der Amtsrevision, in der klargestellt wird, dass es bei diesem Termin zu keiner Gegenüberstellung des Mitbeteiligten mit Botschaftsvertretern hätte kommen sollen, beizupflichten.