09.07.2018 Strafrecht

OGH: § 20 EU-JZG – Vereinfachte Übergabe und Einwilligung

Wurde die von einem Europäischen Haftbefehl eines anderen Mitgliedstaats betroffene Person von einem Drittstaat (§ 2 Z 9 EU-JZG) nach Österreich ausgeliefert, kommt eine vereinfachte Übergabe nach § 31 Abs 2 Z 5 EU-JZG zufolge des nach § 38 Abs 2 EU-JZG zu beachtenden Grundsatzes der Spezialität nicht in Betracht; das zuständige Gericht hat in einer solchen Konstellation jene Unterlagen, die zur Erwirkung der Zustimmung des Drittstaats zur Übergabe der betroffenen Person erforderlich sind, unverzüglich dem Bundesministerium für Justiz vorzulegen; hinzu kommt, dass die Erklärung der Einwilligung in eine vereinfachte Übergabe nur dann wirksam ist, wenn sie alle Europäischen Haftbefehle und Ersuchen um Auslieferung (oder um Verhängung der Auslieferungshaft) gleichermaßen umfasst (§ 20 Abs 1 zweiter Satz EU-JZG iVm § 32 Abs 1 zweiter Satz ARHG)


Schlagworte: Europäischer Haftbefehl, vereinfachte Übergabe, Einwilligung, Drittstaat
Gesetze:

 

§ 20 EU-JZG, § 31 EU-JZG, § 38 EU-JZG, § 32 ARHG

 

GZ 11 Os 26/18k, 10.04.2018

 

OGH: Nach § 20 Abs 2 EU-JZG hat das (österreichische) Gericht sogleich nach der Vernehmung der betroffenen Person zum Europäischen Haftbefehl eines Mitgliedstaats, sofern sie sich (nach entsprechender Belehrung, vgl § 20 Abs 1 EU-JZG) zu gerichtlichem Protokoll mit der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls einverstanden erklärt und einwilligt, ohne Durchführung eines förmlichen Verfahrens übergeben zu werden, die Übergabe – soweit die Voraussetzungen dafür vorliegen – anzuordnen, wobei mit dieser vereinfachten Übergabe keine Spezialitätswirkungen verbunden sind. Nach § 31 Abs 2 Z 5 EU-JZG darf eine Person, die aufgrund eines von einer österreichischen Justizbehörde erlassenen Europäischen Haftbefehls an Österreich übergeben wurde, an einen anderen Mitgliedstaat übergeben werden, wenn sie nach ihrer Übergabe auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität (ausdrücklich) verzichtet.

 

Wurde die von einem Europäischen Haftbefehl betroffene Person jedoch – wie hier – von einem Drittstaat (§ 2 Z 9 EU-JZG) nach Österreich ausgeliefert, bleibt die Verpflichtung der Republik Österreich zur Beachtung des Grundsatzes der Spezialität nach § 38 Abs 2 EU-JZG – hier zufolge Art 15 Abs 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EuAlÜbk), weil die Voraussetzungen des Art 14 Abs 1 lit b EuAlÜbk nicht vorliegen – auch bei anstehender Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen diese Person unberührt. Das zuständige Gericht hat in einer solchen Konstellation jene Unterlagen, die zur Erwirkung der Zustimmung des Drittstaats zur Übergabe der betroffenen Person erforderlich sind, unverzüglich dem Bundesministerium für Justiz vorzulegen (§ 38 Abs 2 zweiter Satz EU-JZG).

 

Hinzu kommt, dass die Erklärung der Einwilligung in eine vereinfachte Übergabe nur dann wirksam ist, wenn sie alle Europäischen Haftbefehle und Ersuchen um Auslieferung (oder um Verhängung der Auslieferungshaft) gleichermaßen umfasst (§ 20 Abs 1 zweiter Satz EU-JZG iVm § 32 Abs 1 zweiter Satz ARHG). Nur bei einer solcherart wirksamen Einverständniserklärung der betroffenen Person wäre das Gericht verhalten gewesen, über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls – soweit die Voraussetzungen vorliegen – gem § 20 Abs 2 EU-JZG zu entscheiden (§ 23 Abs 2 erster Satz EU-JZG), und danach die Akten einschließlich des Übergabebeschlusses nach dem EU-JZG sowie der Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung nach dem ARHG dem Bundesministerium für Justiz vorzulegen (§ 23 Abs 2 zweiter Satz EU-JZG).

 

Indem das Landesgericht für Strafsachen Wien unter Verletzung des Grundsatzes der Spezialität und darüber hinaus ohne wirksame Einverständniserklärung des Shaban S***** dessen Übergabe an die deutschen Behörden angeordnet hat, verletzte es § 38 Abs 2 EU-JZG iVm Art 15 Abs 1 EuAlÜbk sowie § 20 Abs 1 zweiter Satz EU-JZG iVm § 32 Abs 1 zweiter Satz ARHG.