03.07.2018 Zivilrecht

OGH: Wucher iSd § 879 Abs 2 Z 4 ABGB iZm Vergleich

Auch Vergleiche, in denen sich der eine Teil übermäßig hohe Leistungen und Verzichte versprechen oder gewähren lässt, können wegen Verstoßes gegen § 879 ABGB nichtig sein; bei der Bewertung von Leistung und Gegenleistung in einem Abfindungsvergleich muss das Prozessrisiko einkalkuliert werden


Schlagworte: Wucher, Vergleich, Prozessrisiko
Gesetze:

 

§ 879 ABGB

 

GZ 7 Ob 50/18f, 24.05.2018

 

OGH: Wucher iSd § 879 Abs 2 Z 4 ABGB liegt vor, wenn 1. ein auffallendes Missverhältnis zwischen dem Wert der Leistung und der Gegenleistung besteht, 2. der durch das Geschäft Begünstigte dieses Missverhältnis kennt, und 3. bei dem durch das Geschäft Benachteiligten gewisse Verhältnisse oder Eigenschaften vorhanden sind, die ihn hindern, sein Interesse gehörig zu wahren; fehlt nur eine dieser Voraussetzungen, unterliegt ein Geschäft nicht der Beurteilung als wucherisch. Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit eines Vertrags wegen Wuchers setzt daher neben dem auffallenden Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung die mangelnde Wahrungsmöglichkeit der Äquivalenz durch den Bewucherten wegen Leichtsinns, Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung sowie die Ausnützung der Lage des Bewucherten durch den Wucherer voraus. Wucher erfordert als objektives Merkmal eine grobe, leicht erkennbare Äquivalenzstörung, wobei die gesamten beiderseitigen Leistungswerte in ein Verhältnis zu setzen sind. Auffallend ist das Missverhältnis der Leistungswerte dann, wenn die Gegenleistung den Wert der Leistung bedeutend übersteigt, ohne dass die Übermäßigkeit durch besondere Umstände des Falls, etwa die Gewagtheit des Geschäfts, sachlich gerechtfertigt wäre; bloßes Fehlen der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit reicht nicht aus. Auch Vergleiche, in denen sich der eine Teil übermäßig hohe Leistungen und Verzichte versprechen oder gewähren lässt, können wegen Verstoßes gegen § 879 ABGB nichtig sein. Bei der Bewertung von Leistung und Gegenleistung in einem Abfindungsvergleich muss das Prozessrisiko einkalkuliert werden.

 

Eine Zwangslage ist dann anzunehmen, wenn der Vertragsgegner vor die Wahl gestellt ist, in den Vertrag einzutreten oder einen Nachteil zu erleiden, der nach vernünftigem Ermessen schwerer wiegt, als der wirtschaftliche Verlust, den der Vertrag zur Folge hat. Die Zwangslage, die eine Anfechtung wegen Wuchers rechtfertigt, kann auch nur vorübergehend, psychisch oder vermeintlich sein und in Befürchtungen bestehen. Das Tatbestandsmerkmal der Ausbeutung setzt voraus, dass der Wucherer zu seiner Bereicherung eine Lage benützt, die er nicht geschaffen haben muss, die ihm aber ebenso wie das Missverhältnis von Leistungen und Gegenleistungen bewusst ist oder hätte bewusst sein müssen. „Ausbeuten“ kann somit auch fahrlässig erfolgen. Zusammengefasst muss der Wucherer die Lage des Bewucherten und das grobe Missverhältnis der Leistungen gekannt haben oder er hätte sie zumindest erkennen müssen.

 

Dass die Voraussetzungen des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vorliegen, insbesondere ein auffallendes, also grobes und leicht erkennbares Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, hat der Anfechtende zu behaupten und zu beweisen. Es ist seine Sache, den Verkehrswert der Vertragsleistungen und Umstände darzutun, nach denen dem Beklagten ein Missverhältnis der Werte der Leistungen mindestens bekannt sein musste, insbesondere durch Angabe des von ihm erwarteten Gewinnes aus dem Geschäft. Die bloße Behauptung, dass Leistung und Gegenleistung in einem auffallenden Missverhältnis stünden, reicht nicht aus.

 

Ob die Voraussetzungen des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls.