OGH: Zur Haftung des Sachwalters iSd § 277 ABGB und zu den Handlungs- und Sorgfaltspflichten gem § 275 ABGB (hier: angebliche Unterlassungen iZm der Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Masseverwalter)
Bei der Beantwortung der Frage, welche konkreten Sorgfaltspflichten bestehen und wann ein rechtswidriges Verhalten vorliegt, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, die einen gewissen Ermessensspielraum für den Sachwalter eröffnet; in diesem Sinn hat der OGH iZm der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung von Rechtsgeschäften klargestellt, dass nicht allein materielle Gesichtspunkte maßgebend sind, sondern dass auch die Interessen und Wünsche des Pflegebefohlenen, aber auch seine Befindlichkeit und seine konkreten Lebensumstände berücksichtigt werden müssen; auch die mögliche Verschlechterung der emotionalen Befindlichkeit ist in eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Gesamtbeurteilung einzubeziehen
§ 277 ABGB, § 275 ABGB, §§ 1295 ff ABGB, §§ 268 ff ABGB, § 292 EO
GZ 5 Ob 210/17v, 15.05.2018
OGH: Nach § 277 ABGB idF SWRÄG 2006 haftet der Sachwalter dem Pflegebefohlenen für jeden durch sein Verschulden verursachten Schaden. Ein Sachwalter hat demnach, soweit er bei Ausübung der ihm durch die gerichtliche Bestellung anvertrauten Agenden nicht in Erfüllung einer richterlichen Weisung handelt und insoweit als Organ gem § 1 Abs 2 AHG zu qualifizieren ist, für einen durch sein Verhalten als Sachwalter verursachten Schaden persönlich nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen einzustehen.
Die Handlungs- und Sorgfaltspflichten eines Sachwalters umschreibt § 275 Abs 1 ABGB nur sehr allgemein mit allen Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die übertragenen Angelegenheiten zu besorgen, wobei das Wohl des Betroffenen bestmöglich zu fördern ist. Konkretere Verhaltensanforderungen für den einzelnen Sachwalter im Rahmen seines Wirkungskreises lassen sich im Gesetz nicht finden; diese sind vielmehr bedarfsabhängig und einzelfallbestimmt. Bei der Beantwortung der Frage, welche konkreten Sorgfaltspflichten bestehen und wann ein rechtswidriges Verhalten vorliegt, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, die einen gewissen Ermessensspielraum für den Sachwalter eröffnet. In diesem Sinn hat der OGH iZm der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung von Rechtsgeschäften klargestellt, dass nicht allein materielle Gesichtspunkte maßgebend sind, sondern dass auch die Interessen und Wünsche des Pflegebefohlenen, aber auch seine Befindlichkeit und seine konkreten Lebensumstände berücksichtigt werden müssen. Auch die mögliche Verschlechterung der emotionalen Befindlichkeit ist in eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Gesamtbeurteilung einzubeziehen.
Die Frage, ob einem Sachwalter, zu dessen Aufgabenbereich auch die Vermögensverwaltung der betroffenen Person gehört, eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten, die zu einer Beschädigung eines Vermögenswerts der betroffenen Person führt, vorzuwerfen ist, kann demnach nur nach den Umständen des konkreten Einzelfalls beurteilt werden.
Gegenstand der Revision ist (nur noch) die Schadenersatzforderung für den behaupteten Einkommensverlust infolge Nichtauszahlung des Existenzminimums. Der Beklagte habe diesen Schaden des Klägers durch Unterlassen der Geltendmachung der dem Kläger zustehenden Ansprüche schuldhaft verursacht. Dem Kläger sei während des Konkurses zu Unrecht ein Teil des ihm zustehenden Existenzminimums nicht ausbezahlt worden. Ein maßgerechter Fachmann hätte daher als Sachwalter des Klägers gegenüber dem Masseverwalter Ansprüche auf Auszahlung des am Masseanderkonto befindlichen Teils des Existenzminimums geltend gemacht und die Zustimmung zu dem auf diesen Beträgen beruhenden Zahlungsplan verweigert.
Das Berufungsgericht verneinte schon den Eintritt des vom Kläger behaupteten Schadens in der Gestalt eines Einkommensverlusts. Die unter dem Existenzminimum liegende und daher als unpfändbar aus der Konkursmasse auszuscheidende Invaliditätspension des Klägers sei zwar von der Eröffnung des Konkurses bis zum 31. 1. 2010 auf das vom Masseverwalter verwaltete Masseanderkonto überwiesen und dem Kläger nur zum Teil ausbezahlt worden. Allerdings habe der Masseverwalter die Kosten für die dem Kläger überlassene Wohnung vom Masseanderkonto bezahlt. Diese Zahlungen müsse sich der Kläger (als Sachleistung) anrechnen lassen. Lediglich ein Betrag von 5,90 EUR sei nicht durch Wohnkosten gedeckt. Dadurch, dass der Beklagte diesen Betrag nicht gegenüber dem Masseverwalter geltend gemacht habe, sei dem Kläger aber kein Schaden entstanden, weil auch zwei Verwaltungsstrafen aus der Masse bezahlt worden seien. Die Pensionsbezüge des Klägers seien zwar unter dem Existenzminimum gelegen, der Masseverwalter habe dem Kläger die Differenz auf das Existenzminimum nicht iSd § 5 Abs 2 KO aus der Masse gewähren müssen. Der Vorwurf, der Beklagte habe dem Zahlungsplan zugestimmt, obwohl zu dessen Erfüllung auch die auf dem Masseanderkonto befindlichen Teile seines Existenzminimums verwendet worden seien, gehe daher ins Leere.
Der Kläger versteht die nach Rechtsansicht des Berufungsgerichts vorzunehmende Anrechnung der aus der Masse für den Kläger gezahlten Wohnkosten auf dessen Anspruch auf Überlassung der Pensionszahlungen als Fall einer Zusammenrechnung von Sach- und Geldleistungen iSd § 292 EO. Die Richtigkeit des damit erzielten wirtschaftlichen Ergebnisses bestreitet der Kläger in seiner Revision nicht; die von ihm geltend gemachten Revisionsgründe beruhen vielmehr einzig auf dem Argument, dass nach dem auch im Schuldenregulierungsverfahren anzuwendenden § 292 Abs 2 EO eine Zusammenrechnung von Geld- und Sachleistungen verschiedener Drittschuldner für die Ermittlung des Existenzminimums nur aufgrund eines konstitutiv wirkenden Gerichtsbeschlusses und nur auf Antrag eines Berechtigten erfolgen darf.
Der Revisionswerber stützt sich dabei auf die Entscheidung des OGH zu 8 Ob 97/12s, mit der dieser erstmals die analoge Anwendung des § 292 EO auch im Schuldenregulierungsverfahren bejahte und (daher auch in diesem) für die Möglichkeit der Zusammenrechnung von Geld- und Sachleistungen einen antragsgebundenen, konstitutiv wirkenden Gerichtsbeschluss als erforderlich ansah. Diese Entscheidung wurde zeitlich erst nach der vom Kläger nunmehr inkriminierten Zustimmung des Beklagten zum Zahlungsplan getroffen und veröffentlicht. Vor diesem Hintergrund wäre es dem Beklagten schon aus dem Blickwinkel der Richtigkeit seiner Einschätzung der Rechtslage nicht zum Vorwurf zu machen, dass er die vom Kläger behaupteten Ansprüche auf Auszahlung des gesamten Existenzminimums gegenüber dem Masseverwalter nicht weiter betrieben hat. Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse zum Sachwalter bestellt worden sind, haben zwar nach allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts für den Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB einzustehen. Hat sich zu einer bestimmten Rechtsfrage eine Spruchpraxis noch nicht gebildet und sind die gesetzlichen Bestimmungen nicht vollkommen eindeutig, so ist auch einem Rechtsanwalt ein Verschulden nur dann anzulasten, wenn bei pflichtgemäßer Überlegung die von ihm eingehaltene Vorgangsweise – anders als hier – nicht mehr als vertretbar bezeichnet werden kann. Im vorliegenden Kontext der Haftung des Beklagten als dem zur Vermögensverwaltung berufenen Sachwalter, ist die Richtigkeit der Einschätzung von Berechtigung und Erfolgsaussichten des nicht weiter verfolgten Anspruchs auch nicht das entscheidende, jedenfalls nicht das allein entscheidende Kriterium für die Beurteilung, ob ihm als Sachwalter eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten vorzuwerfen ist. Dies lässt der Kläger in seiner Revision außer Acht. Auf die anderen für die vorzunehmende Gesamtbeurteilung ebenso maßgeblichen Umständen des Einzelfalls geht der Kläger nicht ein. Das gilt für die vom Beklagten zur Verfolgung der behaupteten Ansprüche ohnedies gesetzten Schritte und die in diesem Zusammenhang ergangenen pflegschafts- und konkursgerichtlichen Entscheidungen gleich wie für die (wirtschaftliche, aber auch persönliche) Zweckmäßigkeit des erst durch die Abstandnahme von der weiteren Anspruchsverfolgung ermöglichten Zahlungsplans.