OGH: Anspannung iZm Bezug von Sozialhilfe?
Wer – aus welchen Gründen immer (Krankheit, Haft, Schwangerschaft, Alter) – zu einer Erwerbstätigkeit nicht in der Lage ist, dem kann wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit kein potenzielles Einkommen unterstellt werden; der Bezug von Sozialhilfe indiziert im Allgemeinen, dass der Unterhaltspflichtige nicht in der Lage ist, einen Arbeitsplatz zu finden; es ist aber durchaus möglich, dass auch bei rechtmäßigem Bezug der Sozialhilfe die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen bestehen bleiben
§ 94 ABGB, § 231 ABGB
GZ 7 Ob 210/17h, 21.03.2018
OGH: Zur Anspannung eines Unterhaltspflichtigen wird vertreten (was sinngemäß auf den Unterhaltsberechtigten übertragen werden kann), dass ihn die Obliegenheit trifft, im Interesse der ihm gegenüber Unterhaltsberechtigten alle Kräfte anzuspannen und alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können.
Eine Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf nur erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er keine Erwerbstätigkeit ausübt. Der Anspannungsgrundsatz dient als eine Art Missbrauchsvorbehalt, wenn schuldhaft die zumutbare Erzielung deutlich höherer Einkünfte versäumt wird. Maßstab hiefür ist der Vergleich mit dem Verhalten eines ordentlichen familien- und pflichtbewussten (hier: geschiedenen) Ehepartners.
Für die Beurteilung der Zumutbarkeit kommt es auf die persönlichen Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten sowie insbesondere das Alter und den Gesundheitszustand, die Berufsausbildung, bisherige Berufstätigkeiten, die Pflicht zur Erziehung von Kindern, deren Alter sowie die Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt an.
Wer – aus welchen Gründen immer (Krankheit, Haft, Schwangerschaft, Alter) – zu einer Erwerbstätigkeit nicht in der Lage ist, dem kann wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit kein potenzielles Einkommen unterstellt werden. Der Bezug von Sozialhilfe indiziert im Allgemeinen, dass der Unterhaltspflichtige nicht in der Lage ist, einen Arbeitsplatz zu finden. Es ist aber durchaus möglich, dass auch bei rechtmäßigem Bezug der Sozialhilfe die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen bestehen bleiben.
Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen und die Voraussetzungen der ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen.
Der Unterhaltspflichtige hat die seine Unterhaltsverpflichtung aufhebenden oder vermindernden Umstände zu behaupten und zu beweisen. Die Behauptungs- und Beweislast für ein zumutbarerweise erzielbares höheres Einkommen trifft die durch den Anspannungsgrundsatz begünstigte Partei.
Der Unterhaltsberechtigte trägt im Fall seiner Anspannung auf ein fiktives Einkommen die Behauptungs- und Beweislast für fehlendes Verschulden; er hat daher auch zu behaupten und zu beweisen, dass seine fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit nicht eingetreten ist.