11.06.2018 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob der Versicherer verpflichtet ist, den Versicherungsnehmer auf sein auf vier Jahre befristetes Recht zur Neubemessung des Invaliditätsgrads nach Art 7.6. AUVB 1999 (bzw nach vergleichbaren Regelungen) hinzuweisen, und ob die Berufung auf den Fristablauf bei unterlassenem Hinweis gegen Treu und Glauben verstößt

Richtig ist, dass die Berufung des Versicherers auf den Ablauf einer Ausschlussfrist gegen Treu und Glauben verstoßen kann; ein solcher Fall liegt aber nicht schon dann vor, wenn die Frist unverschuldet versäumt wurde; erforderlich ist vielmehr ein solches Verhalten des Anspruchsgegners, durch das der Anspruchsberechtigte veranlasst wurde, seine Forderung nicht fristgerecht geltend zu machen; für eine noch weitergehende, vom Kläger reklamierte Verpflichtung des Versicherers, den Versicherungsnehmer gleichsam standardmäßig auf die Neubemessungsfrist von vier Jahren hinzuweisen, fehlt in Österreich (zum Unterschied von Deutschland) eine gesetzliche Grundlage und jeder Anhaltspunkt in der bisherigen Rsp


Schlagworte: Versicherungsrecht, Unfallversicherung, Invaliditätsgrad, Neubemessung, Frist, Risikoausschluss, Treu und Glauben, schlüssiger Verzicht
Gesetze:

 

Art 7.6. AUVB 1999, § 879 ABGB, § 864a ABGB, § 863 ABGB

 

 

GZ 7 Ob 124/17m, 21.03.2018

 

OGH: Der Kläger geht zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rsp des Fachsenats davon aus, dass es sich bei der in Art 7.6. AUVB 1999 vorgesehenen Frist insofern um eine Ausschlussfrist handelt, als ein allenfalls von der Erstbemessung abweichender Invaliditätsgrad nur dann zu bemessen und zu berücksichtigen ist, wenn dies bis zu vier Jahre ab dem Unfalltag vom Versicherten oder dem Versicherer begehrt wird. Die Frist soll verhindern, dass die abschließende Bemessung der Invalidität auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben wird. Beide Parteien sollen innerhalb der Frist von vier Jahren Klarheit über den Grad der Invalidität erlangen können, um letztlich Beweisschwierigkeiten zu vermeiden und Rechtssicherheit und Rechtsfrieden innerhalb eines überblickbaren Zeitraums schaffen zu können. Wird der Antrag auf Neubemessung versäumt, so bleibt es bei der letzten Feststellung der Bemessung der Invaliditätsentschädigung.

 

Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer muss grundsätzlich mit Risikoausschlüssen und -einschränkungen rechnen und sich durch Einsicht in die Bedingungen über die konkreten Anspruchsvoraussetzungen und Ausschlussfristen informieren. Er kann nicht erwarten, dass alle Änderungen des Gesundheitszustands bis zu seinem Lebensende gedeckt sind. Dieses Risiko wäre für die Versicherer kaum überschaubar. Die Frist für die Neubemessung ist daher nicht ungewöhnlich iSd § 864a ABGB und sie ist für den Versicherungsnehmer auch nicht gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB, weil sie sowohl für den Versicherungsnehmer als auch für den Versicherer gleichermaßen gilt.

 

Richtig ist, dass die Berufung des Versicherers auf den Ablauf einer Ausschlussfrist gegen Treu und Glauben verstoßen kann. Ein solcher Fall liegt aber nicht schon dann vor, wenn die Frist unverschuldet versäumt wurde. Erforderlich ist vielmehr ein solches Verhalten des Anspruchsgegners, durch das der Anspruchsberechtigte veranlasst wurde, seine Forderung nicht fristgerecht geltend zu machen. Für eine noch weitergehende, vom Kläger reklamierte Verpflichtung des Versicherers, den Versicherungsnehmer gleichsam standardmäßig auf die Neubemessungsfrist von vier Jahren hinzuweisen, fehlt in Österreich (zum Unterschied von Deutschland) eine gesetzliche Grundlage und jeder Anhaltspunkt in der bisherigen Rsp. Dieser vom Berufungsgericht und vom Kläger angesprochenen Zulassungsfrage muss aber schon deshalb nicht weiter nachgegangen werden, weil sich die Unfallfolgen beim Kläger seit dem der Erstbemessung zugrunde gelegenen Sachverständigengutachten bis zum Ablauf der Neubemessungsfrist ohnehin nicht verschlimmert haben. Schließlich wurde dem Kläger schon anlässlich dieser Begutachtung mitgeteilt, „dass es wahrscheinlich das Beste wäre, den Fuß abzunehmen“, sodass für den Kläger auch insoweit keine Fehlvorstellung bestehen konnte.

 

Bei der Annahme eines schlüssigen Verzichts ist besondere Vorsicht geboten. Er darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist und kein Zweifel möglich ist, dass das Verhalten des Berechtigten den Verzichtswillen zum Ausdruck bringen soll. Dass die Beklagte im Jahre 2013 ein neuerliches Sachverständigengutachten einholte, hat der Kläger durch seine damals erstattete neue Unfallmeldung veranlasst. Dass die Vorinstanzen daraus keinen Verzicht auf die Einhaltung der Neubemessungsfrist nach dem Unfall im Jahre 2007 ableiteten, ist unter diesen Umständen keine korrekturbedürftige Einzelfallbeurteilung.