OGH: Verhetzung nach § 283 StGB
Die Menschenwürde wird verletzt, wenn durch die Tathandlung den Angehörigen der angegriffenen Gruppe unmittelbar oder mittelbar das Recht auf Menschsein schlechthin abgesprochen wird, indem etwa das Lebensrecht als gleichwertige Bürger bestritten wird oder sie als minderwertige oder wertlose Teile der Gesamtbevölkerung dargestellt oder wenn sie sonst einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werden; maßgebend ist, dass die der betreffenden Gruppe angehörenden Menschen im unverzichtbaren Kernbereich ihrer Persönlichkeit getroffen werden; verächtlich macht derjenige, der den anderen als der Achtung seiner Mitmenschen unwert oder unwürdig hinstellt, ihn also deren Verachtung aussetzt; die Begehung in einer die Menschenwürde verletzenden Weise ist mit einer Beschimpfung in einer Weise, die geeignet ist, die Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, nicht gleichzusetzen
§ 283 StGB, § 61 StGB
GZ 11 Os 7/18s, 10.04.2018
OGH: Nach § 283 Abs 2 StGB idF BGBl 1996/762 handelte tatbildlich, wer öffentlich gegen eine der in § 283 Abs 1 StGB bezeichneten Gruppen hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft oder verächtlich zu machen sucht.
Durch BGBl I 2011/103 erfuhr die betreffende Bestimmung insofern eine Änderung, als die Wahrnehmbarkeit für eine breite Öffentlichkeit normiert und sowohl für die Variante des Hetzens als auch des Beschimpfens (nun) kumulativ gefordert wurde, dass der Täter dadurch die geschützte Gruppe (überdies) verächtlich zu machen sucht.
§ 283 StGB in der im Urteilszeitpunkt geltenden Fassung (BGBl I 2015/154) enthält in Abs 1 Z 1 und Z 2 drei Tatbestandsvarianten, nämlich Auffordern zu Gewalt sowie Aufstacheln zu Hass (Z 1) und das Beschimpfen einer der in Z 1 bezeichneten Gruppen in einer Weise, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen (Z 2). In Betreff der Beschimpfung (Abs 1 Z 2) wurde zudem das Erfordernis der qualifizierten Vorsatzform der Absichtlichkeit (§ 5 Abs 2 StGB) in Bezug auf die Verletzung der Menschenwürde anderer eingefügt.
In ihrem Grundtatbestand (§ 283 Abs 1 StGB) pönalisiert die aktuelle Fassung öffentliche Begehung auf eine Weise, dass es (die Begehung) vielen Menschen zugänglich wird und normiert in Abs 2 für den Fall der Begehung auf eine Weise, dass die (in Abs 1 bezeichneten) Handlungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich werden, eine (mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte) Qualifikation.
Die Menschenwürde wird verletzt, wenn durch die Tathandlung den Angehörigen der angegriffenen Gruppe unmittelbar oder mittelbar das Recht auf Menschsein schlechthin abgesprochen wird, indem etwa das Lebensrecht als gleichwertige Bürger bestritten wird oder sie als minderwertige oder wertlose Teile der Gesamtbevölkerung dargestellt oder wenn sie sonst einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werden. Maßgebend ist, dass die der betreffenden Gruppe angehörenden Menschen im unverzichtbaren Kernbereich ihrer Persönlichkeit getroffen werden.
Verächtlich macht derjenige, der den anderen als der Achtung seiner Mitmenschen unwert oder unwürdig hinstellt, ihn also deren Verachtung aussetzt.
Die im Wahrspruch getroffenen Konstatierungen reichen für den anzustellenden Günstigkeitsvergleich (§ 61 StGB) nicht aus.
Voraussetzung für die Verwirklichung (zumindest) des Grundtatbestands des Vergehens der Verhetzung nach § 283 Abs 1 StGB idgF ist öffentliche Begehung auf eine Weise, dass die Begehung vielen Menschen zugänglich wird. Die im Wahrspruch zu den Hauptfragen 1./, 3./ und 4./ getroffenen Feststellungen (Schuldsprüche I./A./, I./B./2./, 3./), nach denen der Angeklagte die Taten öffentlich oder auf eine Weise, wodurch die Handlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, begangen habe, lassen nicht erkennen, ob die Geschworenen nur eine oder beide (und im ersten Fall welche) dieser Varianten als verwirklicht ansahen. Bei Nichterweisbarkeit der öffentlichen Tatbegehung auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, wäre schon der Grundtatbestand nach § 283 Abs 1 Z 2 StGB idgF nicht erfüllt, demnach dieses Strafgesetz – zufolge der damit verbundenen Konsequenz eines Freispruchs – in seiner Gesamtauswirkung das Günstigere.
Gleiches gilt für die bejahte Hauptfrage 2./, die die Publizitätserfordernisse des § 283 Abs 2 StGB idF 1996/762, idF BGBl I 2011/103 und idF BGBl I 2015/154 jeweils mit „oder“ verknüpft. Solcherart bietet dieser Teil des Wahrspruchs (Schuldspruch I./B./1./) keine ausreichende Basis für den – durch Vergleich von Tatzeit- und Urteilszeitrecht ohne Heranziehung von Zwischengesetzen vorzunehmenden – Günstigkeitsvergleich. Dem Erfordernis, die Günstigkeitsprüfung für jede urteilsgegenständliche Tat, dh für jeden zu beurteilenden Lebenssachverhalt gesondert vorzunehmen, kann nur durch eine (hier zumindest nach Rechtsschichten) getrennte Fragestellung zum einen bezogen auf die bis zum 31. Dezember 2011 und zum anderen zu den ab 1. Jänner 2012 getätigten Postings entsprochen werden.
Den im Wahrspruch zu den Hauptfragen 5./ bis 8./ getroffenen Feststellungen (Schuldspruchgruppe II./) ist zwar eine Wahrnehmbarkeit für eine breite Öffentlichkeit zu entnehmen, die Formulierung, der Angeklagte habe Personen mosaischen Glaubens „in einer die Menschenwürde verletzenden Weise oder in einer Weise, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, beschimpft und dadurch verächtlich zu machen gesucht“, lässt allerdings nicht erkennen, ob die Geschworenen durch die einzelnen inkriminierten Handlungen beide Tatvarianten als verwirklicht ansahen.
Nur bei tatbestandsmäßigem Handeln sowohl nach alter (BGBl I 2011/103) als auch nach aktueller Rechtslage käme eine Strafbarkeit nach § 283 StGB (hier aufgrund der gegenüber geltendem Recht geringeren Strafdrohung idF BGBl I 2011/103) in Betracht.
Denn die Begehung in einer die Menschenwürde verletzenden Weise ist mit einer Beschimpfung in einer Weise, die geeignet ist, die Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, nicht gleichzusetzen (arg „und“ in § 283 Abs 2 StGB idF BGBl I 2011/103). Ebensowenig kann aus der – in die betreffenden Fragen aufgenommenen – Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, das Kriterium der Beschimpfung in einer (objektiv) die Menschenwürde verletzenden Weise abgeleitet werden.