27.05.2018 Verfahrensrecht

OGH: Zur Frage, ob auch im Fall der Verletzung der Vorschrift des § 417a ZPO durch das Erstgericht die Anmeldung einer Berufung iSd § 461 Abs 2 ZPO erforderlich ist

Zur Abwehr des Eintritts der Rechtskraft bedarf es keiner Anmeldung der Berufung, wenn das mündlich verkündete Urteil den Parteien bereits vor Ablauf der Frist zur Anmeldung der Berufung in gekürzter Ausfertigung zugestellt wird; mit Zustellung des Urteils beginnt die Berufungsfrist nach § 464 Abs 2 ZPO zu laufen


Schlagworte: Mündlich verkündetes Urteil, gekürzte Urteilsausfertigung, Zustellung, Berufungsanmeldung, Berufung
Gesetze:

 

§ 417a ZPO, § 461 ZPO

 

GZ 10 Ob 18/18x, 14.03.2018

 

OGH: Gem § 461 Abs 2 ZPO kann gegen ein in Anwesenheit beider Parteien mündlich verkündetes Urteil (§ 414 ZPO) Berufung von einer Partei nur erhoben werden, die die Berufung sofort nach der Verkündung des Urteils mündlich oder binnen 14 Tagen ab der Zustellung der Protokollsabschrift über jene Tagsatzung, in der das Urteil mündlich verkündet worden ist, in einem bei dem Prozessgericht erster Instanz überreichten Schriftsatz angemeldet hat.

 

Bei der Frist des § 461 Abs 2 ZPO handelt es sich um eine Notfrist. Dies führt dazu, dass auch diese Frist nach § 222 Abs 1 ZPO zwischen dem 15. Juli und dem 17. August, gehemmt ist. Demnach endete im vorliegenden Fall die Frist zur Anmeldung der Berufung am 31. August 2017.

 

Mangels rechtzeitiger Anmeldung der Berufung (§ 461 Abs 2 ZPO) sind unzulässige Berufungen – ebenso wie verspätet erhobene Berufungen – vom Prozessgericht erster Instanz zurückzuweisen (§ 468 Abs 1 Satz 2 ZPO).

 

Der Zweck des § 461 Abs 1 ZPO, der mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle (WGN) 1989, BGBl 1989/343, zusammen mit § 417a ZPO („gekürzte Urteilsausfertigung“) eingeführt und durch die WGN 1997, BGBl I 1997/140, sowie das Budgetbegleitgesetz (BBG) 2011, BGBl I 2010/111, in die aktuelle Fassung gebracht wurde, liegt in der Vereinfachung der Urteilsausfertigung für den Richter und der Erzielung des damit verbundenen Beschleunigungseffekts. Der Richter hat je nach dem Verhalten der Parteien entweder (im Fall der Berufungsanmeldung) eine der Anfechtung unterliegende ausführliche oder (im Fall des Unterbleibens einer Berufungsanmeldung) eine gekürzte Urteilsausfertigung (§ 417a ZPO) herzustellen.

 

Auch eine gekürzte Urteilsausfertigung nach mündlicher Verhandlung des Urteils ohne Erhebung eines Rechtsmittels stellt ein Urteil mit allen Rechtskraftwirkungen dar. Demnach käme die Ausfertigung eines ungekürzten, den Inhaltserfordernissen des § 417 ZPO entsprechenden Urteils zusätzlich zur gekürzten Urteilsausfertigung (wie die Revisionsrekurswerberin meint) nicht in Betracht, selbst wenn gleichzeitig mit der Berufung auch deren Anmeldung vorgenommen worden wäre.

 

Im Hinblick auf den Arbeitsersparnis- und Beschleunigungszweck der §§ 417a und 461 Abs 2 ZPO ist § 461 Abs 2 ZPO nach stRsp einschränkend dahin auszulegen, dass es im Fall der gleichzeitigen Zustellung des mündlich verkündeten und bereits mit vollständiger Begründung ausgefertigten Urteils und der Protokollsabschrift jener Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung, in der das Urteil verkündet wurde, einer Berufungsanmeldung nicht bedarf. Vielmehr kann die Berufung ohne Anmeldung binnen der gesetzlichen Frist (§ 464 Abs 1 ZPO) ab Urteilszustellung erhoben werden.

 

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht eine Urteilsausfertigung in gekürzter Form ausgefertigt und diese entgegen § 417a ZPO innerhalb der noch offenen Frist zur Berufungsanmeldung, also verfrüht zugestellt. Auch bei diesem Sachverhalt ist § 461 Abs 2 ZPO dahin zu verstehen, dass die Berufung (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) ohne Anmeldung erhoben werden kann:

 

Obgleich zum Zeitpunkt der Zustellung der gekürzten schriftlichen Urteilsausfertigung die vierzehntägige Frist zur Anmeldung der Berufung (§ 461 Abs 2 ZPO) noch nicht abgelaufen war, ist gegenüber den Parteien die Wirksamkeit des Urteils eingetreten (§ 416 Abs 1 ZPO) und die vierwöchige Berufungsfrist nach § 464 Abs 1 ZPO in Gang gesetzt worden. Die Anmeldung (oder unterbliebene) Anmeldung der Berufung hat auf die Berufungsfrist keinen Einfluss. Daraus folgt, dass zur Verhinderung des Eintritts der Rechtskraft die Anmeldung der Berufung nicht erforderlich war, sondern so gleich eine Berufung erhoben werden konnte.

 

Die Anmeldung erübrigt sich aber auch als Voraussetzung für die Statthaftigkeit der Berufung (§ 461 Abs 2 iVm § 468 Abs 1 Satz 2 ZPO):

 

Nach § 461 Abs 2 ZPO soll die strenge Sanktion der Zurückweisung der Berufung als unzulässig (mangels deren Anmeldung nach § 468 Abs 1 ZPO) dann zum Tragen kommen, wenn die Anmeldung innerhalb der dafür vorgesehenen – in gesamter Länge zur Verfügung stehenden – vierzehntägigen Frist unterblieben ist. Implizit ist dabei der Regelfall vorausgesetzt, dass die Anmeldungsfrist vor Zustellung einer Urteilsausfertigung abläuft. Kommt es aber zu einer verfrühten Zustellung eines nur in gekürzter Form ausgefertigten Urteils, nämlich noch vor Ablauf der Anmeldungsfrist, muss die durch das Urteil beschwerte Partei in der Lage sein, den Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils mittels Berufung – auch ohne deren vorhergehende bzw gleichzeitige Anmeldung – zu verhindern. Das Festhalten am Erfordernis einer Berufungsanmeldung auch in dieser Verfahrenskonstellation als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Berufung ist weder aus der Zielrichtung des § 461 Abs 2 ZPO noch aus allgemeinen Grundsätzen des Rechtsmittelrechts abzuleiten und würde auf einen bloßen Formalismus hinauslaufen.