OGH: Anscheinsvollmacht des Obmannstellvertreters (iZm Ortsabwesenheit des Obmanns) einer politischen Partei?
Es liegt im allgemeinen Interesse der Rechtsordnung, dass juristische Personen tunlichst vertreten sein sollen; dementsprechend normiert § 1 Abs 4 Z 1 PartG, dass die Satzung einer Partei auch Angaben über die Organe der Partei und deren Vertretungsbefugnis zu enthalten hat; nach der Intention des Gesetzgebers soll sich also aus der – beim BMI hinterlegten und in dem dort geführten Verzeichnis öffentlich einsehbaren (§ 1 Abs 4 PartG) – Satzung die Vertretungsbefugnis auch für Dritte feststellen lassen; die Satzung der Beklagten beschränkt die Vertretungsmacht des Obmannstellvertreters ausdrücklich auf den Fall der „Verhinderung“ des Obmanns; nach dem – auch ohne nähere satzungsgemäße Definition klaren – Begriffskern bedeutet eine bloße Ortsabwesenheit (auch in Form eines Auslandsaufenthalts) des Obmanns nicht dessen Verhindertsein iZm der Abgabe formfreier rechtsgeschäftlicher Erklärungen; dem Berufungsgericht ist daher insoweit zuzustimmen, als ein die Vertretungsbefugnis des Obmannstellvertreters der Beklagten bedingender Verhinderungsfall zumindest voraussetzt, dass der Obmann der Beklagten darüber hinaus – anders als im vorliegenden Fall – auch nicht innerhalb einer angemessenen, je nach Dringlichkeit unterschiedlichen Frist erreichbar gewesen wäre
§ 1029 ABGB, §§ 1002 ff ABGB, § 6 ABGB, § 7 ABGB, § 1 PartG
GZ 5 Ob 28/17d, 20.07.2017
OGH: Eine Anscheinsvollmacht (= Vollmacht wegen Vertrauens auf den äußeren Tatbestand) setzt voraus, dass Umstände vorliegen, die geeignet sind, im Dritten den begründeten Glauben an die Berechtigung des Vertreters zum Abschluss des beabsichtigten Geschäfts zu erwecken. Grundvoraussetzungen für die Annahme einer Anscheinsvollmacht sind demnach 1. das Vorliegen eines Vertrauenstatbestands, also eines Sachverhalts, aus dem ein Wille auf Vollmachtserteilung erschlossen werden konnte, 2. der Nachweis, dass dieser Sachverhalt durch ein Verhalten desjenigen zurechenbar veranlasst wurde, in dessen Namen gehandelt wurde, sowie 3. das gutgläubige Vertrauen des Dritten auf den Anschein durch den Dritten, der bei Anwendung gehöriger Aufmerksamkeit also davon ausgehen durfte, dass der als Bevollmächtigter Handelnde tatsächlich eine Vollmacht habe.
Soll der äußere Tatbestand die Grundlage für die Überzeugung des Dritten von der Vertretungsmacht seiner Kontaktperson bilden, muss er die den Rechtsschein (die Vollmachtskundgabe) tragenden Umstände bei Vornahme der Rechtshandlung (oder bei Abschluss des Rechtsgeschäfte) auch tatsächlich gekannt haben.
Mit Blick auf diese Rsp weist das Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung selbst zutreffend darauf hin, dass es hier an einer Feststellung fehlt, dass der Umstand, der seiner Auffassung nach den Vertrauenstatbestand begründet, nämlich die Tatsache der Abhaltung einer „Klubklausur der Beklagten“ in Abwesenheit des Obmanns, der Klägerin bekannt war.
Aber auch abgesehen davon erweist sich die Argumentation des Berufungsgerichts als inkonsequent. Selbst im Falle einer entsprechenden Kenntnis der Klägerin würde durch die Abhaltung einer Klubklausur in Abwesenheit des Obmanns der Beklagten nämlich – objektiv betrachtet – lediglich der „Anschein“ der Ortsabwesenheit begründet, nicht aber auch der Anschein einer darüber hinausgehenden Hinderung des Obmanns der Beklagten an der Ausübung seiner Entscheidungskompetenz. Eben diese erachtete das Berufungsgericht in Auslegung der Satzung der Beklagten aber – zu Recht (siehe unten) – als für den Eintritt des Vertretungsfalls erforderlich. Dass der Umstand der Abhaltung einer Klubklausur durch die Beklagte in Abwesenheit ihres Obmanns den Anschein erweckt habe, dass dieser seinem Stellvertreter (vorsorglich) eine gesonderte Vollmacht zu seiner Vertretung in dieser Zeit erteilt habe (wobei es dann auf die fehlenden Feststellungen zur Kenntnis der Klägerin ankäme), vertritt auch das Berufungsgericht – wiederum zu Recht – nicht.
Der die Annahme einer Anscheinsvollmacht rechtfertigende Vertrauenstatbestand kann auch nicht schon allein in der Tatsache der Einsetzung des Nebenintervenienten als Bundesparteiobmannstellvertreters gesehen werden. Für die Annahme der Vertretungsmacht des Nebenintervenienten nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht besteht hier daher nach dem festgestellten Sachverhalt unabhängig vom Kenntnisstand der Klägerin kein Raum.
Auch die unmittelbare organschaftliche Vertretungsbefugnis des Nebenintervenienten nach § 8 Abs 2 der Satzung der Beklagten ist für den hier zu beurteilenden Fall des bloßen Auslandsaufenthalts des Obmanns zu verneinen.
Nach der Rsp des OGH sind Bestimmungen in Satzungen – wie Vereinsstatuten auch – nicht nach § 914 ABGB, sondern wie generelle Normen nach den §§ 6 und 7 ABGB auszulegen. Maßgebend ist daher der objektive Sinn der Bestimmungen. Unklare oder eine mehrfache Deutung zulassende Bestimmungen sind in vernünftiger und billiger Weise so auszulegen, dass ihre Anwendung im Einzelfall brauchbare und vernünftige Ergebnisse zeitigt.
Aus diesen Leitlinien lässt sich für den vorliegenden Fall Folgendes ableiten: Es liegt im allgemeinen Interesse der Rechtsordnung, dass juristische Personen tunlichst vertreten sein sollen. Dementsprechend normiert § 1 Abs 4 Z 1 PartG, dass die Satzung einer Partei auch Angaben über die Organe der Partei und deren Vertretungsbefugnis zu enthalten hat. Nach der Intention des Gesetzgebers soll sich also aus der – beim Bundesministerium für Inneres hinterlegten und in dem dort geführten Verzeichnis öffentlich einsehbaren (§ 1 Abs 4 PartG) – Satzung die Vertretungsbefugnis auch für Dritte feststellen lassen. Die Satzung der Beklagten beschränkt die Vertretungsmacht des Obmannstellvertreters ausdrücklich auf den Fall der „Verhinderung“ des Obmanns. Nach dem – auch ohne nähere satzungsgemäße Definition klaren – Begriffskern bedeutet eine bloße Ortsabwesenheit (auch in Form eines Auslandsaufenthalts) des Obmanns nicht dessen Verhindertsein iZm der Abgabe formfreier rechtsgeschäftlicher Erklärungen. Dem Berufungsgericht ist daher insoweit zuzustimmen, als ein die Vertretungsbefugnis des Obmannstellvertreters der Beklagten bedingender Verhinderungsfall zumindest voraussetzt, dass der Obmann der Beklagten darüber hinaus – anders als im vorliegenden Fall – auch nicht innerhalb einer angemessenen, je nach Dringlichkeit unterschiedlichen Frist erreichbar gewesen wäre.
Eine wirksame Stellvertretung setzt neben dem Handeln des Stellvertreters im Namen des Vertretenen das Vorliegen von Vertretungsmacht voraus. Vollmachtsloses Handeln im fremden Namen führt grundsätzlich zur Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts. Die Revision ist daher berechtigt und das Klagebegehren ist abzuweisen.