OGH: Haftung einer Wirtschaftsprüfungs-KG nach § 1313a ABGB für die Malversationen ihrer Mitarbeiterin (hier: Verurteilung wegen Untreue iZm Rückerstattungsanträge für vorhandene Steuerguthaben via FinanzOnline auf eigenes Konto)?
Im vorliegenden Fall sollte die für die Bereiche Buchhaltung und Lohnverrechnung angestellte Mitarbeiterin nach dem von der Geschäftsführerin der beklagten Wirtschaftsprüfungs-KG getragenen Willen Aufgaben der Lohnverrechnung für den Erstkläger erbringen; die Verfügung über Steuerguthaben gehörte damit nicht zu den Hauptleistungspflichten der beklagten Partei; deren Mitarbeiterin ist damit nicht in dem ihr übertragenen Aufgabenbereich tätig geworden, als sie mit dem vom Erstkläger herausgelockten Zugangscode in Ausnutzung ihrer Kenntnisse die Überweisung der beim Finanzamt für diesen vorhandenen Steuerguthaben auf ihr Konto veranlasste; soweit sich der Erstkläger in seiner Revisionsbeantwortung auf die Regeln über die Anscheinsvollmacht beruft, um zu begründen, dass die beklagte Partei – vertreten durch die Mitarbeiterin – ihm gegenüber die Aufgaben eines Steuerberaters übernommen habe, die die Verfügung über seine Steuerguthaben umfassten, übersieht er, dass die Anscheinsvollmacht einen äußeren (Rechtsscheins-)Tat-bestand voraussetzt, der dem Vertretenen zurechenbar sein muss, um das Vertrauen des Dritten vom Vorhandensein der Vertretungsmacht zu rechtfertigen; ein solcher, der beklagten Partei zurechenbarer Tatbestand wurde aber nicht schon dadurch geschaffen, dass sich die Mitarbeiterin eines bei der beklagten Partei gängigen Vollmachtsformulars bediente, das von einem vertretungsbefugten Organ gar nicht unterschrieben war
§ 1313a ABGB, § 1029 ABGB, § 1009 ABGB
GZ 5 Ob 4/18a, 13.02.2018
OGH: Nach § 1313a ABGB haftet derjenige, der einem anderen zu einer Leistung verpflichtet ist, für das Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung dieser Leistung bedient, wie für sein eigenes. Erfüllungsgehilfe ist danach, wer mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird.
Nach stRsp des OGH zu § 1313a ABGB können auch vorsätzliche unerlaubte Handlungen in einer dem Schuldner zurechenbaren Weise vom Erfüllungsgehilfen begangen werden, sofern ein innerer Sachzusammenhang der schädigenden Handlung des Erfüllungsgehilfen mit der Vertragserfüllung vorliegt. Hingegen wird eine Haftung für eine Schädigung ausgeschlossen, die der Gehilfe dem Gläubiger nur gelegentlich (anlässlich) der Erfüllung zugefügt hat, und die einer selbständigen unerlaubten Handlung entsprungen ist. Nur dann, wenn die unerlaubte Handlung des Gehilfen in den Aufgabenbereich eingreift, zu dessen Wahrnehmung er vom Schuldner bestimmt worden ist, hat der Schuldner für das Verhalten seines Gehilfen einzustehen. Dementsprechend haftet der Geschäftsherr nicht nach § 1313a ABGB, wenn das Verhalten des Gehilfen aus dem allgemeinen Aufgabenbereich, den der Gehilfe im Rahmen der Interessenverfolgung für den Schuldner wahrzunehmen hat, herausfällt.
Auch in der Lehre herrscht Einigkeit darüber, dass der Geschäftsherr nicht für beliebige Akte seines Gehilfen haftet. Überwiegend wird betont, dass die Geschäftsherrn für (unerlaubte) schädigende Handlungen seines Gehilfen (nur) dann haften, wenn das Verhalten noch innerhalb des für den Geschäftsherrn wahrzunehmenden Pflichtenkreises lag und der Schaden nicht nur „gelegentlich in der Erfüllung“ verursacht wurde.
Veruntreuungshandlungen der Mitarbeiterin der beklagten Wirtschaftsprüfungs-KG waren bereits Gegenstand der Entscheidung 8 Ob 63/17y. Nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt bestand zwischen der beklagten Partei und der dort klagenden Klientin ein Vollmachtsverhältnis, das erstere zur Vertretung in allen steuerlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten gegenüber den zuständigen Behörden und Personen berechtigte. Die Verfügung über Steuerguthaben gehörte demgegenüber nicht zu den Hauptleistungspflichten der beklagten Partei. Der OGH verneinte daher deren Haftung für das vorsätzlich schädigende Verhalten ihrer Mitarbeiterin nach § 1313a ABGB.
Im vorliegenden Fall sollte die für die Bereiche Buchhaltung und Lohnverrechnung angestellte Mitarbeiterin nach dem von der Geschäftsführerin der beklagten Wirtschaftsprüfungs-KG getragenen Willen Aufgaben der Lohnverrechnung für den Erstkläger erbringen. Die Verfügung über Steuerguthaben gehörte damit – wie in dem zu 8 Ob 63/17y entschiedenen Fall – nicht zu den Hauptleistungspflichten der beklagten Partei. Deren Mitarbeiterin ist damit nicht in dem ihr übertragenen Aufgabenbereich tätig geworden, als sie mit dem vom Erstkläger herausgelockten Zugangscode in Ausnutzung ihrer Kenntnisse die Überweisung der beim Finanzamt für diesen vorhandenen Steuerguthaben auf ihr Konto veranlasste. Soweit sich der Erstkläger in seiner Revisionsbeantwortung auf die Regeln über die Anscheinsvollmacht beruft, um zu begründen, dass die beklagte Partei – vertreten durch die Mitarbeiterin – ihm gegenüber die Aufgaben eines Steuerberaters übernommen habe, die die Verfügung über seine Steuerguthaben umfassten, übersieht er, dass die Anscheinsvollmacht einen äußeren (Rechtsscheins-)Tat-bestand voraussetzt, der dem Vertretenen zurechenbar sein muss, um das Vertrauen des Dritten vom Vorhandensein der Vertretungsmacht zu rechtfertigen. Ein solcher, der beklagten Partei zurechenbarer Tatbestand wurde aber nicht schon dadurch geschaffen, dass sich die Mitarbeiterin eines bei der beklagten Partei gängigen Vollmachtsformulars bediente, das von einem vertretungsbefugten Organ gar nicht unterschrieben war. Weitere Argumente kann der Erstkläger für diese Auffassung nicht ins Treffen führen. Auch den Feststellungen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die beklagte Partei oder deren Geschäftsführerin in irgendeiner Form einen Anschein erweckt hätten, sie hätten ihrer Mitarbeiterin eine derartige Befugnis erteilt. Vielmehr steht fest, dass das Einbringen von Anträgen auf Rückzahlung von Steuerguthaben ausdrücklich der Geschäftsführerin der beklagten Partei vorbehalten war. Entgegen der vom Erstkläger auch noch in der Revisionsbeantwortung vertretenen Auffassung kommt daher eine Haftung der beklagten Partei für das vorsätzlich schädigende Verhalten ihrer Mitarbeiterin nach § 1313a ABGB nicht in Betracht; der von ihm zur Stützung seines Standpunkts angeführten Entscheidung 8 Ob 98/17w lag ein anderer Sachverhalt zugrunde.
Anhaltspunkte für ein Organisations-, Auswahl- oder Überwachungsverschulden der Geschäftsführerin der beklagten Partei liegen ebenfalls nicht vor. Der Dienstvertrag der Mitarbeiterin der beklagten Partei sah ausdrücklich vor, dass sie keine konkurrenzierende Nebenbeschäftigung, wie zB Buchhaltungsarbeiten für Bekannte, erbringen durfte. Mit seinen Ausführungen, dass die Geschäftsführerin bereits im Sommer 2012, also noch vor seinem ersten Kontakt zur Mitarbeiterin, Kenntnis von deren Malversationen erlangen hätte müssen, zielt der Erstkläger ganz offensichtlich auf die zu 8 Ob 63/17y entschiedene Sache ab, ohne näher darzulegen, aus welchen Gründen hier eine andere Beurteilung vorzunehmen wäre. Nach den Feststellungen erfolgte die letzte Überweisung durch die Mitarbeiterin auf ihr Privatkonto im September 2014, sodass auch unklar bleiben muss, inwieweit eine – im Einzelnen ohnedies nicht näher dargelegte – Vorgangsweise der Geschäftsführerin im April 2015 von Einfluss auf seinen Schaden hätte sein können.
Auch die vom Erstkläger in seiner Revisionsbeantwortung geforderte (analoge) Heranziehung des § 1009 ABGB kommt nicht in Betracht. Diese Bestimmung regelt den Herausgabeanspruch des Vollmachtgebers, der als Erfüllungsanspruch voraussetzt, dass der Nutzen dem Geschäftsbesorger auch zugekommen ist. Hier steht fest, dass die von der Mitarbeiterin über das Portal FinanzOnline eingeforderten Steuerguthaben des Erstklägers von dessen Steuerkonto auf das Privatkonto der Mitarbeiterin geflossen sind. Damit fehlt es schon an Anhaltspunkten dafür, dass diese Steuerguthaben jemals in den Verfügungsbereich der beklagten Partei gelangt sind. Auch der Erstkläger betont, dass die Steuerguthaben nach Verrechnung mit der Abgabenschuld als positiver Saldo am Finanzamtskonto „stehengeblieben“ sind, worauf sie über Veranlassung der Mitarbeiterin auf deren Privatkonto überwiesen wurden. Inwieweit diese Guthaben der beklagten Partei zugeflossen sein sollen, „indem sie in ihre Einflusssphäre gelangt sind und [diese] darüber verfügen konnte“, wie der Erstkläger meint, kann daher nicht nachvollzogen werden. Auch eine analoge Anwendung des § 1009 ABGB kommt daher nicht in Betracht.