OGH: Dringendes Wohnbedürfnis iSd § 30 Abs 2 Z 5 und Z 6 MRG – Verweisung auf eine rechtlich gleichwertige, schlecht ausgestattete Wohnmöglichkeit?
Im vorliegenden Fall stellt die dem Beklagten zur Verfügung stehende Wohnung top 4, an der ein unbefristeter Mietvertrag besteht, eine zwar rechtlich gleichwertige Unterkunftsmöglichkeit dar; die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es sich dabei dennoch nicht um eine „ausreichende“ Unterkunftsmöglichkeit handelt, ist aber im Lichte der Rsp vertretbar; denn danach muss zwar keine faktische Gleichwertigkeit iSv Größe, Kategoriemerkmalen, Erhaltungszustand, etc bestehen, es darf aber dem Eintrittswerber auch kein eklatanter Abstieg des Wohnkomforts zugemutet werden; hier würde der Beklagte auf eine halb so große und (bezüglich der Küche) schlechter ausgestattete Wohnung als jene, in der er seit beinahe 40 Jahren lebt, verwiesen werden
§ 30 MRG
GZ 4 Ob 210/17m, 23.01.2018
OGH: Die Beurteilung der Frage, ob das dringende Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten nach den im Einzelfall festgestellten Umständen zu bejahen ist oder nicht, ist keine solche von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO. Bei der Beurteilung kommt es immer auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls, unter Einschluss sowohl der rechtlichen als auch der tatsächlichen Verhältnisse an.
Unstrittig ist, dass der Beklagte seit 1981 (bis zu deren Tod 2009 bzw 2012 zusammen mit seinen Eltern) in der aufgekündigten Wohnung top 2, die über eine Fläche von 56,46 m² verfügt, lebt und nie ausgezogen ist. Seit 1989 ist der Beklagte Mieter der am selben Gang gelegenen Wohnung top 4, die (nur) 28 m² groß ist und in der im Küchenbereich kein Wasserhahn und kein Herd installiert ist. In dieser Wohnung verwendete die Familie das Badezimmer, ansonsten wurde die Wohnung zur Lagerung von Gegenständen und für handwerkliche Tätigkeiten genutzt.
In der jüngeren höchstgerichtlichen Rsp des OGH wird das dringende Wohnbedürfnis eines Eintrittswerbers iSe schutzwürdigen Interesses verstanden und nur dann verneint, wenn ihm eine andere ausreichende und angemessene sowie rechtlich gleichwertige Unterkunftsmöglichkeit zur Verfügung steht, wobei immer auf die Gesamtheit der Umstände des Einzelfalls unter Einschluss sowohl der rechtlichen als auch der tatsächlichen Verhältnisse abgestellt wird. Verfügt ein Eintrittswerber über eine eigene Wohnung, die er früher bewohnt hat, wird auf die unbedingte Notwendigkeit abgestellt, den beim Tod des Mieters gegebenen Zustand zu belassen. Soll er auf eine andere Wohnung verwiesen werden, muss es sich um eine ausreichende und gleichartige Wohnmöglichkeit handeln (5 Ob 89/12t). In der zitierten Entscheidung wurde die gleich große und gleich ausgestattete Wohnung, die die Beklagte auch zu Lebzeiten ihrer Mutter zu Wohnzwecken nutzte, als eine nicht nur rechtlich gleichwertige, sondern auch ausreichende und angemessene Wohnmöglichkeit angesehen.
Nach der Rsp ist zwar bei Vorhandensein einer ausreichenden und rechtlich gleichwertigen Wohnmöglichkeit deren faktische Gleichwertigkeit nicht zu prüfen. Allerdings werden bei der Prüfung, ob es sich dabei um eine „ausreichende“ Wohnmöglichkeit handelt, auch faktische und nicht nur rechtliche Gesichtspunkte herangezogen. So wurde zu 7 Ob 273/07h ausgesprochen, dass in einer 40 m² bzw 52 m² großen Garconniere keine mit einer 140 m² großen Wohnung vergleichbare ausreichende Wohnmöglichkeit gesehen werden kann, wenn die Beklagte bis zum Zeitpunkt des Todes des bisherigen Hauptmieters rund 20 Jahre in der gegenständlichen Wohnung lebte.
Das Berufungsgericht nahm auf 7 Ob 137/13t Bezug, wonach an zwei rechtlich selbstständigen, faktisch zusammengelegten Wohnungen nach den Umständen des Einzelfalls ein dringendes Wohnbedürfnis begründet werden kann, sowie auf 4 Ob 237/05i, wo die ausreichende und gleichwertige Wohnmöglichkeit in einem ca 15 m² großen Einzelraum ohne WC, Kochgelegenheit, Wasser- und Kaminanschluss mit der 96 m² großen aufgekündigten Wohnung mit Bad, WC und Gasetagenheizung verneint wurde.
Dem hält die Revision ua die E 6 Ob 75/98t (Bejahung des schutzwürdigen Interesses des 76 Jahre alten Witwers, der mit der verstorbenen Mieterin durch Jahrzehnte in der gemeinsamen rund 160 m² großen Wohnung der Kategorie A gelebt hatte, bei Vorhandensein einer erheblich kleineren Wohnung der Kategorie D, die überdies vom selben Hauseigentümer zum selben Termin aufgekündigt wurde) entgegen, in der aber gerade auch die Bezugnahme auf die faktischen Verhältnisse bejaht wurde.
In der E 9 Ob 331/00t wurde auf den Grundsatz hingewiesen, dass das Vorhandensein einer rechtlich gleichwertigen Wohnmöglichkeit nicht schon schematisch und generell zur Verneinung des dringenden Wohnbedürfnisses an der aufgekündigten Wohnung führen muss.
Im vorliegenden Fall stellt die dem Beklagten zur Verfügung stehende Wohnung top 4, an der ein unbefristeter Mietvertrag besteht, eine zwar rechtlich gleichwertige Unterkunftsmöglichkeit dar; die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es sich dabei dennoch nicht um eine „ausreichende“ Unterkunftsmöglichkeit handelt, ist aber im Lichte der zuvor zitierten Rsp vertretbar. Denn danach muss zwar keine faktische Gleichwertigkeit iSv Größe, Kategoriemerkmalen, Erhaltungszustand, etc bestehen, es darf aber dem Eintrittswerber auch kein eklatanter Abstieg des Wohnkomforts zugemutet werden.
Hier würde der Beklagte auf eine halb so große und (bezüglich der Küche) schlechter ausgestattete Wohnung als jene, in der er seit beinahe 40 Jahren lebt, verwiesen werden. Berücksichtigt man diese Umstände des Einzelfalls, liegt die Beurteilung der Vorinstanzen jedenfalls innerhalb des von der höchstgerichtlichen Rsp vorgegebenen Rahmens.