OGH: Verjährung iSd § 1489 ABGB
Bei Schadenersatzansprüchen ist mangels abweichender Behauptungen die Kenntnis vom Ersatzpflichtigen mit dem Unfalldatum gleichzusetzen, sofern nicht im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände Abweichendes zu gelten hat
§ 1489 ABGB
GZ 2 Ob 214/17k, 30.01.2018
OGH: Die Kenntnis des Sachverhalts, der den Grund des Entschädigungsanspruchs darstellt, beginnt erst, wenn dem Geschädigten der Sachverhalt soweit bekannt wurde, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg einbringen hätte können. Bei Schadenersatzansprüchen ist mangels abweichender Behauptungen die Kenntnis vom Ersatzpflichtigen mit dem Unfalldatum gleichzusetzen, sofern nicht im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände Abweichendes zu gelten hat. Eine solche Erfolgsaussicht besteht aber nur im Falle der Erhebung einer schlüssigen Klage, also einer Klage, bei der aus dem Sachvorbringen das Begehren abgeleitet werden kann. Die Kenntnis des Geschädigten muss daher den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt. Nur ab tatsächlichem Bekanntsein von Umständen, die die Annahme eines Verschuldens des Schädigers rechtfertigen, ist die Einbringung der Klage mit Aussicht auf Erfolg möglich. Der Kläger muss Klarheit über das Verschulden des Schädigers haben. Bei einem diese strittigen Tatfragen und Rechtsfragen behandelnden Prozess darf dessen Ausgang oder zumindest das Vorliegen gesicherter Verfahrensergebnisse abgewartet werden. Der Geschädigte setzt sich also bis zu diesem Zeitpunkt nicht der Gefahr der Verjährung seines Schadenersatzanspruchs aus. Eine ausreichende Kenntnis vom Schaden kann allerdings im Einzelfall auch gegeben sein, wenn bereits vorher gesicherte Verfahrensergebnisse vorliegen oder der Geschädigte erdrückende Beweise ignoriert. Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Dabei ist auf die Umstände des konkreten Falls abzustellen. Die Erkundigungspflicht des Geschädigten darf nicht überspannt werden.
Für den Beginn der Verjährungsfrist ist der Beklagte beweispflichtig. Derjenige, der die Verjährung einwendet, hat jene Tatsachen, die seine Einrede zunächst einmal schlüssig begründen, vorzubringen und zu beweisen. Den Schadenersatzpflichtigen trifft also die Behauptungs- und Beweislast für den Beginn der Verjährungsfrist und die relevante Kenntnis des Geschädigten zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Eine Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall führt zur Beurteilung, dass die Beklagte bisher dieser ihrer Behauptungslast nicht nachkam.
Der Kläger hat vorausgesehen, dass die Beklagte Verjährung einwenden werde. Er hat schon in der Klage ausgeführt, warum er abweichend vom Normalfall (Verjährungsbeginn mit Unfalldatum) erst mit Zustellung des Berufungsurteils im dritten Rechtsgang im Vorprozess (2016) hinreichende Kenntnis vom Verschulden der Lenkerin und somit erst dadurch von allen anspruchsbegründenden Umständen erlangt hat. Sein Vorbringen steht auch mit dem Akteninhalt nicht in Widerspruch.
Ausgehend von diesem Vorbringen des Klägers kann der Eintritt der Verjährung nicht damit begründet werden, dass die Klage nicht innerhalb von drei Jahren ab dem Unfalltag eingebracht wurde. Es wäre vielmehr nach der zitierten Rsp an der Beklagten gelegen, Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, warum dem Kläger bereits ab dem Unfalltag der Sachverhalt so weit bekannt war, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg hätte einbringen können. Dazu haben die Beklagten nur behauptet, dem Kläger seien „alle relevanten Umstände des Unfalls naturgemäß“ seit dem Unfall bekannt gewesen. Der Bezug auf „alle relevanten Umstände“ ist kein Tatsachenvorbringen und kann konkrete Behauptungen, aufgrund welcher Tatsachen dem Kläger ab dem Unfall auch bekannt gewesen sei, dass die Lenkerin ein Verschulden treffe, nicht ersetzen.
Dass – wie das Erstgericht annimmt – dem Kläger seit dem Schadensereignis bekannt gewesen sei, dass möglicherweise auch ein Verschulden der Lenkerin in Frage gekommen sei, heißt nur, dass es aus Sicht des Klägers ebenso möglich gewesen ist, dass die Lenkerin kein Verschulden traf, oder anders gewendet, dass der Kläger über ein Verschulden der Lenkerin eben nicht Bescheid wusste. Dies reicht nach angeführten Rsp aber nicht aus, um die Verjährungsfrist in Gang zu setzen.
Auch die vom Berufungsgericht ins Treffen geführte Erkundigungsobliegenheit (Ortsaugenschein an der Baustelle auf der Autobahn) ist zu verneinen. Zum Einen darf nach der zitierten Rsp die Erkundigungspflicht des Geschädigten jedenfalls nicht überspannt werden, zumal solche Erkundigungspflichten in § 1489 ABGB, der nur auf Kenntnis abstellt, keine Grundlage haben. Zum Anderen ist zu bedenken, dass nach der in ihrer Echtheit nicht bestrittenen Krankengeschichte der Kläger vom Unfallstag (11. 4. 2010) bis 10. 5. 2010, also fast ein Monat, aufgrund der unfallkausalen Verletzungen stationär im Spital war; während dieser Zeit wäre ein Ortsaugenschein unzumutbar gewesen. Im Übrigen wäre ein Ortsaugenschein auch nur schwer durchführbar gewesen: Zu Fuß hätte er auf der Autobahn nicht erfolgen dürfen (§ 46 Abs 1 StVO). Mit dem Pkw wäre zur näheren Wahrnehmung und zur fotografischen Dokumentation der Baustellenbereiche dort wohl ein Halten nötig, was aber auf der Autobahn ebenfalls verboten ist (§ 46 Abs 4 lit e StVO). Schließlich wäre ein Ortsaugenschein auch nicht geeignet gewesen, Klarheit über ein Verschulden der Lenkerin zu gewinnen: Baustellen sind temporäre Einrichtungen, weshalb der Kläger, hätte er auch nur einige Tage nach dem Unfall einen Augenschein durchgeführt, nicht sicher sein hätte können, dass er die Baustellenbereiche genau so vorfinden würde, wie sie sich im Unfallzeitpunkt darstellten. Wäre im Unfallzeitpunkt die Baustelle tatsächlich mangelhaft abgesichert gewesen, hätte nämlich gerade der gegenständliche Unfall das Bauunternehmen oder die ASFINAG veranlassen können, zur Verhinderung weiterer Unfälle möglichst rasch für eine ausreichende Absicherung zu sorgen und solchermaßen den Baustellenbereich gegenüber dem Unfallzeitpunkt zu verändern. Ob für den Geschädigten eines Verkehrsunfalls überhaupt eine „Erkundungsobliegenheit“ durch Vornahme eines Ortsaugenscheins zu bejahen wäre, kann daher hier dahinstehen.