OGH: Unleidliches Verhalten iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG (iZm Geisteskrankheit)
Grundsätzlich ist auch Geisteskrankheit kein Freibrief für unleidliches Verhalten; das Verhalten einer geisteskranken Person ist zwar nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich (dh für die Mitbewohner unerträglich), wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person; das bedeutet allerdings nicht, dass die anderen Bewohner des Miethauses jedwedes Verhalten einer geistig behinderten Person in Kauf nehmen müssten, auch wenn dadurch ihre Lebensqualität in gravierender Weise beeinträchtigt wird; vielmehr hat in solchen Fällen eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist
§ 30 MRG
GZ 3 Ob 214/17t, 20.12.2017
OGH: Die Frage, ob der Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG verwirklicht ist, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Dass die Vorinstanzen die Verwirklichung dieses Kündigungsgrundes ausgehend vom festgestellten Verhalten der Beklagten – seit Jänner 2016 beinahe tägliche massive Lärmbelästigungen durch lautes Geschrei am Gang und in der aufgekündigten Wohnung (untertags und in der Nacht mit teilweise stundenlangen Schreiattacken), lautes Klopfen in der Wohnung (überwiegend in der Nacht, wodurch andere Mieter aus dem Schlaf gerissen werden), sowie Beschimpfungen der Mitbewohner des Hauses – bejahten, ist nicht zu beanstanden.
Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG setzt regelmäßig kein Verschulden des Mieters voraus, vielmehr kommt es darauf an, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als ein grob ungehöriges, das Zusammenwohnen verleidendes Verhalten angesehen werden muss, auch wenn es etwa auf eine geistige Erkrankung zurückzuführen ist.
Grundsätzlich ist also auch Geisteskrankheit kein Freibrief für unleidliches Verhalten. Das Verhalten einer geisteskranken Person ist zwar nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich (dh für die Mitbewohner unerträglich), wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person. Das bedeutet allerdings nicht, dass die anderen Bewohner des Miethauses jedwedes Verhalten einer geistig behinderten Person in Kauf nehmen müssten, auch wenn dadurch ihre Lebensqualität in gravierender Weise beeinträchtigt wird. Vielmehr hat in solchen Fällen eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin haben die Vorinstanzen ohnehin eine solche Interessenabwägung vorgenommen; deren Ergebnis zu Ungunsten der Beklagten begegnet keinen Bedenken.