05.02.2018 Zivilrecht

OGH: Zur Abgrenzung zwischen Verwaltungshandlungen und Substanzänderungen

Der bloße Umstand, dass eine Maßnahme die Substanz der gemeinsamen Sache betrifft, reicht für eine Qualifikation als Verfügung iSd § 828 ABGB noch nicht aus, weil sie auch in der Verwaltung der Sache begründet sein kann


Schlagworte: Miteigentum, Substanzänderung, Verfügung über die Sache selbst, außerordentliche Verwaltung, Stimmengleichheit, Entscheidung des Außerstreitrichters
Gesetze:

 

§ 828 ABGB, §§ 833 ff ABGB

 

GZ 9 Ob 18/17p, 19.12.2017

 

OGH: Bei Änderungen tatsächlicher und rechtlicher Natur, die § 828 ABGB zu unterstellen sind, kann die fehlende Zustimmung eines Teilhabers nicht durch einen Beschluss des Außerstreitrichters ersetzt werden, weil derartige Änderungen die Substanz der Gemeinschafts- oder Anteilsrechte betreffen und deshalb einem richterlichen Eingriff entzogen sind. Die Rechtmäßigkeit einer Substanzveränderung setzt daher eine einhellige Willensbildung der Miteigentümer voraus. Eine richterliche Entscheidung (§ 835 ABGB) kann nur über wichtige Veränderungen iSd § 834 ABGB (außerordentliche Verwaltung) und bei Stimmengleichheit auch in Angelegenheiten des § 833 ABGB (ordentliche Verwaltung) ergehen.

 

Verwaltungshandlungen erfordern ein gemeinschaftliches Vorgehen, weil es um Interessen aller Gemeinschafter geht, während die Abgrenzung von Verfügungen nach den Auswirkungen der Geschäftsführungsakte auf das gemeinschaftliche Gut bzw die Anteile der Miteigentümer vorzunehmen ist. Zur Verwaltung gehört alles, was gemeinschaftliche Interessen bei der Nutzung und Erhaltung des Gemeinschaftsgutes beeinträchtigen könnte; eine Verfügung greift in die Substanz der Gemeinschaftsrechte oder Anteilsrechte ein. Verwaltungshandlungen zielen darauf ab, gemeinschaftliche Pflichten zu erfüllen oder gemeinschaftliche Interessen wahrzunehmen. Die rein eigennützige Verbauung oder sonstige Veränderung allgemeiner Teile der Liegenschaft durch einen der Miteigentümer stellt keine Maßnahme der Verwaltung der gemeinsamen Liegenschaft dar. Zu prüfen ist, ob die geplante Veränderung vom Standpunkt der Gesamtheit der Miteigentümer aus offenbar vorteilhaft, bedenklich oder nachteilig ist, sodass sie bei Abwägung der Gesamtinteressen zu unterbleiben hätte. Bei der Prüfung der Nachteiligkeit einer von der Mehrheit beabsichtigten Maßnahme kommt es nicht nur auf die finanziellen Interessen an. Es sind die gesamten Umstände des Falls zu berücksichtigen.

 

Zu den Verfügungen zählen dagegen Maßnahmen, die solche Auswirkungen auf die gemeinsame Sache haben, dass sie sich im gemeinsamen Recht und/oder den Anteilsrechten der Teilhaber niederschlagen, wie zB die Veräußerung der gemeinsamen Sache, die Einräumung einer Dienstbarkeit an der gemeinsamen Sache oder der gänzliche Abriss eines im Miteigentum stehenden Gebäudes. Der bloße Umstand, dass eine Maßnahme die Substanz der gemeinsamen Sache betrifft, reicht aber für eine Qualifikation als Verfügung iSd § 828 ABGB noch nicht aus, könnte sie als solche doch auch in der Verwaltung der Sache begründet sein. Insofern wird mit dem Begriff des Eingriffs in die „Substanz“ iSd § 828 ABGB auch weniger die Veränderung des Gegenstandes (Sache) als vielmehr eine Veränderung des Wesenskerns des Gemeinschaftsrechts angesprochen.