30.01.2018 Zivilrecht

OGH: § 181 ABGB – Entziehung oder Einschränkung der Obsorge bei Gefährdung des Wohl des Kindeswohls

Die Vorinstanzen begründen die Annahme einer konkreten Gefährdung des Wohls der Minderjährigen im Fall des Verbleibs bei der Mutter mit Erziehungs- und Betreuungsmängeln; in den Feststellungen wird dabei ganz allgemein auf Einschränkungen der Mutter hinsichtlich der Erziehungsfähigkeit, des Fürsorgeverhaltens, der Feinfühligkeit, der Empathiefähigkeit, der Aufmerksamkeit gegenüber dem kindlichen Befinden und der Problemeinsicht hingewiesen, ohne festzustellen, ob und wie sich dieses Verhalten auf die Betreuung oder Erziehung auswirkt; Insbesondere iZm der vorgeworfenen Betreuung durch wechselnde Bezugspersonen steht weder fest aus welchem Grund, durch welche Bezugspersonen und in welcher Häufigkeit eine solche erfolgte; Keine Feststellungen finden sich zu dem im Raum stehenden Verdacht der Misshandlung; ebenso blieb offen, wie sich allfällige Auffälligkeiten im Bindungsverhalten der Minderjährigen äußern, zumal doch – festgestelltermaßen – gleichzeitig keine Hinweise auf signifikante Belastungen bestehen


Schlagworte: Familienrecht, Entziehung oder Einschränkung der Obsorge, Gefährdung des Kindeswohls
Gesetze:

 

§ 181 ABGB, § 138 ABGB

 

GZ 7 Ob 170/17a, 29.11.2017

 

OGH: Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so hat das Gericht nach § 181 Abs 1 ABGB, von wem immer es angerufen wird, die zur Sicherung des Wohls des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen, insbesondere darf das Gericht die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise entziehen. § 181 ABGB idF KindNamRÄG 2013 blieb inhaltlich gegenüber § 176 ABGB idF vor dem KindNamRÄG 2013 unverändert. Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohls ist nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt, dass die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden. Bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ist ausschließlich dessen Wohl maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind. Eine Änderung der Obsorgeverhältnisse darf nur als äußerste Notmaßnahme unter Anlegung eines strengen Maßstabs und nur insoweit angeordnet werden, als dies zur Abwendung einer drohenden Gefährdung notwendig ist. Die Entziehung der Obsorge setzt eine offenkundige Gefährdung des Kindeswohls und die Notwendigkeit der Änderung des bestehenden Zustands voraus.

 

Die Vorinstanzen begründen die ihrer Entscheidung zugrunde gelegte – der rechtlichen Beurteilung zuzuordnende – Annahme einer konkreten Gefährdung des Wohls der Minderjährigen im Fall des Verbleibs bei der Mutter mit Erziehungs- und Betreuungsmängeln. In den Feststellungen wird dabei ganz allgemein auf Einschränkungen der Mutter hinsichtlich der Erziehungsfähigkeit, des Fürsorgeverhaltens, der Feinfühligkeit, der Empathiefähigkeit, der Aufmerksamkeit gegenüber dem kindlichen Befinden und der Problemeinsicht hingewiesen, ohne festzustellen, ob und wie sich dieses Verhalten auf die Betreuung oder Erziehung auswirkt. Insbesondere iZm der vorgeworfenen Betreuung durch wechselnde Bezugspersonen steht weder fest aus welchem Grund, durch welche Bezugspersonen und in welcher Häufigkeit eine solche erfolgte. Keine Feststellungen finden sich zu dem im Raum stehenden Verdacht der Misshandlung. Ebenso blieb offen, wie sich allfällige Auffälligkeiten im Bindungsverhalten der Minderjährigen äußern, zumal doch – festgestelltermaßen – gleichzeitig keine Hinweise auf signifikante Belastungen bestehen.

 

Hier wird zwar dem Gutachten der Sachverständigen breiter Raum gegeben, nach deren Einschätzung ein Belassen des Kindes bei der Mutter kindeswohlgefährdend wäre, die getroffenen Feststellungen bieten aber weder im Einzelnen noch insgesamt eine in rechtlicher Hinsicht verlässlich überprüfbare Sachverhaltsgrundlage. Unbeachtet blieb beispielsweise auch, dass die genannten – nicht näher konkretisierten – Auffälligkeiten im Bindungsverhalten auf die Mängel nicht nur der Mutter sondern auch des Vaters zurückgeführt wurden. Ungeklärt ist der auch gegenüber dem Vater erhobene Vorwurf der Misshandlungen und die Feststellung des eingeschränkten Fürsorgeverhaltens (ohne weitere Spezifizierung).

 

Es ist daher zusammenzufassen, dass die von den Vorinstanzen zugrunde gelegte Gefährdung des Kindeswohls bei Verbleib der Minderjährigen bei der Mutter, die als ultima ratio den Entzug der Minderjährigen aus der Obsorge der Mutter und die Übertragung auf den Vater rechtfertigt, nicht auf ausreichender Klärung und umfassender Feststellungsgrundlage beruht und daher nicht nachvollziehbar ist.