30.01.2018 Zivilrecht

OGH: Sachverständigenhaftung gegenüber Dritten

Eine objektiv-rechtliche Sorgfaltspflicht zugunsten eines Dritten trifft einen Sachverständigen, wenn er damit rechnen muss, dass sein Gutachten die Grundlage für die Disposition des Dritten bilden werde; geschützt ist ein Dritter, wenn eine Aussage erkennbar drittgerichtet ist, also ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für den Dritten eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll; wesentlich ist daher va, zu welchem Zweck das Gutachten erstattet wurde; mangels ausdrücklicher Bestimmung im Vertrag kann sich die Beurteilung nach der Verkehrsübung richten; In Bezug auf die Frage der schadensverursachenden Haftung ist der Gutachtensauftrag jener Maßstab, an dem die Tauglichkeit und Richtigkeit des Gutachtens zu messen ist; aus dem Gutachtensauftrag ergibt sich auch, welche Interessen Dritter geschützt sind


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Sachverständigenhaftung, Dritte, Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, objektiv-rechtliche Schutzpflichtverletzung, Subsidiarität
Gesetze:

 

§ 1299 ABGB, §§ 1295 ff ABGB, § 881 ABGB

 

GZ 7 Ob 38/17i, 20.12.2017

 

OGH: Die Ersatzpflicht des Sachverständigen nach §§ 1299 f ABGB ist grundsätzlich auf den aus dem Schuldverhältnis Berechtigten beschränkt. Eine Haftung gegenüber einem Dritten kommt aber etwa dann in Betracht, wenn ein Vertrag mit Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter vorliegt oder die objektiv-rechtlichen Schutzwirkungen auf den Dritten zu erstrecken sind.

 

In LuRsp ist anerkannt, dass Schutz- und Sorgfaltspflichten aus einem Vertragsverhältnis nicht nur zwischen den Vertragsparteien, sondern auch gegenüber bestimmten dritten Personen bestehen, die durch die Vertragserfüllung erkennbar in erhöhtem Maße gefährdet werden und der Interessensphäre eines Vertragspartners angehören. Der Dritte erwirbt unmittelbare vertragliche Ansprüche gegen den Schuldner, der dann auch gem § 1313a ABGB für das Verschulden jener Person haftet, deren er sich zur Erfüllung bediente. Begünstigte Personen in diesem Sinn sind Dritte, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung bei Vertragsabschluss voraussehbar war, die also der vertraglichen Leistung nahestehen und an denen der Vertragspartner ein sichtbares eigenes Interesse hat oder hinsichtlich welcher ihm selbst offensichtlich eine Fürsorgepflicht zukommt.

 

Soll aber die vom Gesetzgeber getroffene unterschiedliche Ausgestaltung von Deliktsrecht und Vertragsrecht nicht aufgehoben oder verwischt werden, hat der Kreis der geschützten Personen, denen statt deliktsrechtlicher auch vertragsrechtliche Schadenersatzansprüche zugebilligt werden, eng gezogen zu werden. Grundvoraussetzung für die Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrags ist ein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers. Ein solches ist zu verneinen, wenn er kraft eigener rechtlicher Sonderverbindungen mit seinem Vertragspartner, der seinerseits den späteren Schädiger vertraglich als Erfüllungsgehilfen beizog, einen deckungsgleichen Anspruch auf Schadenersatz hat.

 

Diese Rsp wurde trotz kritischer Stellungnahmen im Schrifttum aufrechterhalten. Neue Argumente gegen die stRsp wurden nicht vorgebracht. Es ist von ihr nicht abzugehen.

 

Auch die Verletzung objektiv-rechtlicher Sorgfaltspflichten als Haftungsgrundlage ist in LuRsp anerkannt.

 

Eine objektiv-rechtliche Sorgfaltspflicht zugunsten eines Dritten trifft demnach einen Sachverständigen, wenn er damit rechnen muss, dass sein Gutachten die Grundlage für die Disposition des Dritten bilden werde. Geschützt ist ein Dritter, wenn eine Aussage erkennbar drittgerichtet ist, also ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für den Dritten eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll. Wesentlich ist daher va, zu welchem Zweck das Gutachten erstattet wurde. Mangels ausdrücklicher Bestimmung im Vertrag kann sich die Beurteilung nach der Verkehrsübung richten. In Bezug auf die Frage der schadensverursachenden Haftung ist der Gutachtensauftrag jener Maßstab, an dem die Tauglichkeit und Richtigkeit des Gutachtens zu messen ist. Aus dem Gutachtensauftrag ergibt sich auch, welche Interessen Dritter geschützt sind.

 

In der E 7 Ob 513/96 wurde das Bestehen einer objektiv-rechtlichen Anspruchsgrundlage damit begründet, dass in der Mehrzahl der Fälle die Haftung des Sachverständigen nach der Rechtsfigur des Vertrags zu Gunsten Dritter im Ergebnis zu verneinen ist, weil die Interessen des Vertragsbestellers und des Dritten zumeist divergieren. Die Haftung aus dem Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter wurde also durch die Haftung des Sachverständigen wegen der Verletzung ihn selbst treffender objektiv-rechtlicher Schutzpflichten ergänzt, weil auch bei Personen mit divergierenden Interessen ein vergleichbares Schutzbedürfnis wie bei von einem Vertrag geschützten Dritten bestehen kann. Es sollte – wie aus der Entstehungsgeschichte der Rechtsfigur erkennbar – damit primär der geschützte Personenkreis erweitert werden. Der Unterschied zwischen den beiden Ansätzen ist minimal. Berücksichtigt man noch dazu den bereits in 10 Ob 32/11w dargelegten allgemein anerkannten Grundsatz, dass die Statuierung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf das Vermögen Dritter immer eine Ausnahme von der Regel darstellen soll, damit die vom Gesetzgeber getroffene unterschiedliche Ausgestaltung von Delikts- und Vertragsrecht nicht aufgehoben oder verwischt wird, kommt man auch bei der Beurteilung objektiv-rechtlicher Schutzpflichten zu dem Ergebnis, dass ein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers zu verneinen ist, wenn er kraft eigener rechtlicher Sonderverbindungen mit seinem Vertragspartner einen deckungsgleichen Anspruch auf Schadenersatz hat. Es besteht daher bei beiden Anspruchsgrundlagen (sowohl Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter als auch objektiv-rechtliche Schutzpflichtverletzung) Subsidiarität.

 

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der schuldhaft und rechtswidrig handelnde Fünftbeklagte gegenüber den Klägern als Käufern grundsätzlich für die Unrichtigkeit seines Gutachtens nach beiden Anspruchsgrundlagen haftet, war ihm doch das Eigeninteresse der Verkäufer und Auftraggeber an den Fünftbeklagten an einem richtigen Gutachten und der Kontakt der Kläger als Käufer mit der Hauptleistung voraussehbar und musste er auch objektiv damit rechnen, dass sein Gutachten die Grundlage für die Disposition der Kläger bilden wird. In jedem Fall besteht aber Subsidiarität der Ansprüche im aufgezeigten Sinn.

 

Der Schädiger hat den geschädigten Dritten grundsätzlich so zu stellen, wie er ohne schuldhaftes Verhalten gestellt wäre. Der Schaden ist durch eine Differenzrechnung zu ermitteln; es ist zunächst der hypothetische heutige Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis zu ermitteln und von diesem Betrag der heutige tatsächliche Vermögenswert abzuziehen.

 

Darauf, dass nicht festgestellt werden konnte, dass die Kläger das Haus nicht gekauft hätten, wenn dieses eine andere als im vom Fünftbeklagten erstellten Energieausweis genannte Energieklasse und/oder Energiekennzahl aufgewiesen hätte, kommt es entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht an, machen doch die Kläger den Schaden geltend, der dadurch entstanden ist, dass sie wegen des unrichtigen Gutachtens des Fünftbeklagten ein Haus um einen Kaufpreis von 190.000 EUR gekauft haben, das aufgrund der schlechteren Energiekennzahl bloß 100.000 EUR wert ist.