VwGH: Antrag auf Wiedereinsetzung
Dem Wiedereinsetzungsantrag wurde vom VwG nicht stattgegeben, da die Rwin die Pflicht gehabt hätte, sich die Kenntnisse hinsichtlich der richtigen Einbringungsstelle zu verschaffen; es treffe die Rwin ein grobes Verschulden, da sie keine dementsprechenden Erkundigungen eingezogen habe; die Rechtsmittelbelehrung des VwG enthält nur den Hinweis, dass eine Revision beim VwG einzubringen ist; dass davon abweichend der Verfahrenshilfeantrag für eine ao Revision beim VwGH einzubringen ist, lässt sich ihr nicht entnehmen; aus mangelnden Deutschkenntnissen und daraus folgend, einem unrichtigen Verständnis der Rechtsmittelbelehrung, leitete das VwG die Pflicht der Rwin zur Erkundigung über die richtige Einbringungsstelle ab; zwar muss sich der rechtsunkundige Antragsteller angesichts der insoweit unvollständigen Rechtsmittelbelehrung vergewissern, wo er seinen Verfahrenshilfeantrag einzubringen hat; dieser Vorwurf kann der Rwin jedoch auf Basis ihres (bescheinigten) Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag nicht, jedenfalls nicht iSe groben Verschuldens, gemacht werden; angesichts dessen, dass der Rwin und ihrem Ehemann vor Ort im VwG mitgeteilt wurde, dass sie Verfahrenshilfe hier sofort beantragen können, alles in Ordnung ist, wenn man den Antrag beim VwG stellt, und kein Hinweis darauf erfolgt ist, dass die Frist hier nicht gewahrt ist, durfte die Rwin tatsächlich darauf vertrauen, dass das VwG die richtige Einbringungsstelle für ihren Verfahrenshilfeantrag ist und dass sie andernfalls darauf hingewiesen werden würde, wo der Verfahrenshilfeantrag sonst einzubringen ist; bei dieser Ausgangslage stellte es jedenfalls keine grobe Sorgfaltswidrigkeit dar, keine ergänzenden Erkundigungen einzuholen, wobei die Rwin unter Zugrundelegung ihres diesbezüglichen Vorbringens auch kein grobes Auswahlverschulden oder eine grobe Verletzung der Kontrollpflichten trifft, soweit ihr Ehemann im gegebenen Zusammenhang als Hilfsperson tätig wurde; demnach liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung gem § 46 Abs 1 VwGG vor, sodass vom VwGH gem § 42 Abs 4 VwGG in der Sache selbst dahin zu entscheiden war, dass der Revision Folge gegeben und der Revisionswerberin die beantragte Wiedereinsetzung gewährt wird
§ 46 VwGG, § 61 VwGG, § 40 VwGVG, § 24 VwGG, § 1332 ABGB
GZ Ra 2017/21/0193, 14.11.2017
VwGH: Die Frage, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Partei zur Fristversäumung geführt hat, unerliegt grundsätzlich der einzelfallbezogenen Beurteilung des VwG.
Das im angefochtenen Beschluss wörtlich wiedergegebene Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag wird im Rahmen der rechtlichen Beurteilung vom BVwG einleitend (nur) dahin zusammengefasst, dass als maßgebliches Ereignis "die mangelnden Deutschkenntnisse und die Verwechslung der Gerichtsbezeichnung" sowie der Umstand geltend gemacht worden seien, "dass das BVwG fristgerecht das Anbringen an den zuständigen VwGH hätte weiterleiten müssen". Einerseits wurde jedoch der zuletzt angeführte Vorwurf von Seiten der Revisionswerberin gar nicht erhoben, andererseits stellten die mangelnden Deutschkenntnisse der Revisionswerberin und die im Wiedereinsetzungsantrag behauptete Verwechslung der "Ausdrücke Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof" vor dem Hintergrund des übrigen Vorbringens keine tragenden Argumente dar. Ein unrichtiges Verständnis der Rechtsmittelbelehrung wäre in diesem Zusammenhang nämlich von vornherein als Wiedereinsetzungsgrund nicht in Betracht gekommen, weil die Rechtsmittelbelehrung nur den Hinweis enthält, dass eine Revision beim BVwG einzubringen ist; dass davon abweichend der Verfahrenshilfeantrag für eine außerordentliche Revision beim VwGH einzubringen ist, lässt sich ihr nicht entnehmen.
Aus diesem Manko leitete das BVwG vielmehr auch die Pflicht der Revisionswerberin zur Erkundigung über die richtige Einbringungsstelle ab. Nun ist dem BVwG zwar einzuräumen, dass auch der VwGH schon davon ausgegangen ist, angesichts der insoweit unvollständigen Rechtsmittelbelehrung hätte sich der rechtsunkundige Antragsteller vergewissern müssen, wo er seinen Verfahrenshilfeantrag einzubringen habe. Dieser Vorwurf kann der Revisionswerberin jedoch auf Basis ihres (bescheinigten) Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag nicht, jedenfalls nicht iSe groben Verschuldens, gemacht werden:
Danach seien nämlich die Revisionswerberin und ihr Ehemann - ausgehend von der Meinung, der Verfahrenshilfeantrag sei bei jenem Gericht einzubringen, von dem die Entscheidung "zugestellt" worden sei - gemeinsam beim BVwG gewesen und es sei ihnen dort ausdrücklich mitgeteilt worden, dass "sie Verfahrenshilfe hier sofort beantragen können". Es sei sogar "eine zweite Person aus einem höheren Stockwerk" zu ihnen gekommen, die gemeint habe, dass "nur noch die Unterschrift der Revisionswerberin fehle und dann alles in Ordnung sei". Man werde den Antrag entgegennehmen. Man hätte von Seiten des BVwG - so das weitere Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag - darauf hinweisen müssen, dass "eine Frist hier nicht gewahrt sei, wenn man den Antrag beim BVwG stelle und daher nicht alles in Ordnung sei". Sofern irgendein Hinweis darauf gegeben worden wäre, hätten die Ehegatten den Antrag "sofort am gleichen Tag" direkt beim VwGH einbringen können. Ein solcher Hinweis sei jedoch nicht erfolgt.
Angesichts dieser - vom BVwG bei der rechtlichen Beurteilung im angefochtenen Beschluss außer Acht gelassenen - Umstände durfte die Revisionswerberin tatsächlich darauf vertrauen, dass das BVwG die richtige Einbringungsstelle für ihren Verfahrenshilfeantrag sei und dass sie andernfalls darauf hingewiesen werden würde, wo der Verfahrenshilfeantrag sonst einzubringen sei. Bei dieser Ausgangslage stellte es jedenfalls keine grobe Sorgfaltswidrigkeit dar, keine ergänzenden Erkundigungen einzuholen, wobei die Revisionswerberin unter Zugrundelegung ihres diesbezüglichen Vorbringens auch kein grobes Auswahlverschulden oder eine grobe Verletzung der Kontrollpflichten trifft, soweit ihr Ehemann im gegebenen Zusammenhang als Hilfsperson tätig wurde.
Zur Vollständigkeit sei noch erwähnt, dass sich die gegenständliche Konstellation auch von dem vom VwGH mit Beschluss vom 10.11.2015, Ra 2015/19/0222, entschiedenen Fall wesentlich unterscheidet, weil dort - neben dem Vorwurf der Verletzung der Erkundigungspflicht über die richtige Einbringungsstelle - va auch damit argumentiert wurde, dass vom Antragsteller das vom VwGH aufgelegte Formblatt ("Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer ao Revision") verwendet wurde, das sogleich nach dieser Überschrift (in Fettdruck) auf der ersten Seite den Vermerk enthält "Hinweis: Dieser Antrag ist beim VwGH einzubringen". Dieses Formblatt hat die Revisionswerberin aber nicht verwendet, sondern - was die nach möglicherweise nur oberflächlicher Betrachtung erfolgte Entgegennahme des Antrags durch das BVwG erklären könnte - das vom BVwG aufgelegte, handschriftlich ergänzte Formular für die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gem § 40 VwGVG im Verfahren vor dem BVwG.
Demnach liegen im vorliegenden Fall, ausgehend von dem ausreichend bescheinigten Vorbringen der Revisionswerberin in ihrem Antrag, insgesamt die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung gem § 46 Abs 1 VwGG vor, sodass vom VwGH gem § 42 Abs 4 VwGG in der Sache selbst dahin zu entscheiden war, dass der Revision Folge gegeben und der Revisionswerberin die beantragte Wiedereinsetzung gewährt wird.