OGH: Zum Beginn der Verjährung gegenüber dem Sozialversicherungsträger
Solange das Strafgericht die Täterschaft noch in Zweifel zieht, darf dem Geschädigten nicht vorgehalten werden, er habe bereits über einen Informationsstand verfügt, der ihm eine erfolgversprechende Klage ermöglicht habe
§ 332 ASVG, § 1489 ABGB
GZ 3 Ob 65/17f, 25.10.2017
OGH: Für den Sozialversicherungsträger, der gem § 332 ASVG eine Schadenersatzforderung des Verletzten schon im Zeitpunkt des Entstehens erwirbt, beginnt die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB erst dann zu laufen, wenn er selbst Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt hat oder erlangen hätte können. Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch den Ursachenzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verhalten des Schädigers, bei Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt. Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein, dass er - objektiv betrachtet - in der Lage ist, das zur Begründung seines Anspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten. Hat der Geschädigte als Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, so beginnt die Verjährung nicht zu laufen. Die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen vermag ihr Bekanntsein nicht zu ersetzen. Maßgeblich ist also, ob dem Geschädigten objektiv alle für das Entstehen des Anspruchs maßgebenden Tatumstände bekannt waren.
Der Geschädigte darf sich allerdings nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, dass er von der Person des Ersatzpflichtigen eines Tages zufällig Kenntnis erhält. Wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Die Erkundigungspflicht des Geschädigten darf dabei aber auch nicht überspannt werden: Der Umstand, dass sich ein Sozialversicherungsträger dem Strafverfahren nicht als Privatbeteiligter anschloss und daher keine unmittelbaren Informationen über den Gang des Strafverfahrens hatte, bewirkt für sich allein kein Hinausschieben des Beginns der Verjährungsfrist bis zum Ende des Strafverfahrens oder gar bis zum Vorliegen der schriftlichen Urteilsausfertigung. Demgemäß ist dem Sozialversicherungsträger als Legalzessionar auch eine (neuerliche) Einsichtnahme in den Strafakt in einem fortgeschritteneren Verfahrensstadium als der bloßen Polizeianzeige zumutbar, kann doch die relevante Kenntnis von Schaden und Schädiger auch durch entsprechende Verfahrensergebnisse in einem Strafverfahren begründet werden.
Solange das Strafgericht die Täterschaft noch in Zweifel zieht, darf dem Geschädigten aber nicht vorgehalten werden, er habe bereits über einen Informationsstand verfügt, der ihm eine erfolgversprechende Klage ermöglicht habe. Die Klageerhebung und Eröffnung eines weiteren Gerichtsverfahrens in diesem Stadium zu fordern, wäre - im Hinblick auf die zeitnah im Strafverfahren zu erwartende Klärung - vielmehr schikanös und völlig unökonomisch; gerade die Prozessökonomie ist aber der Zweck des Verjährungsrechts.