25.12.2017 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob und inwieweit eine ärztliche Aufklärung über eine notwendige Nachoperation (Notoperation) wegen Nachblutungen nach einer Mandeloperation erforderlich ist

Wenn das Berufungsgericht iSd Rsp davon ausgeht, dass bei einem dringenden Eingriff, der für den Patienten vitale Bedeutung hat, die Aufklärungspflicht des Arztes nicht überspannt werden darf, bedarf dies unter Berücksichtigung der im Einzellfall vorliegenden Umstände keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung; die Operation der Klägerin stand iZm einem Tumorverdacht bzw häufigen Mandelentzündungen und war deshalb dringend und medizinisch indiziert


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Arzthaftung, Aufklärungspflicht, Nachoperation
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB

 

GZ 4 Ob 184/17p, 24.10.2017

 

OGH: Der konkrete Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls. Der Arzt muss nicht auf alle nur denkbaren Folgen der Behandlung hinweisen.

 

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, das im Anlassfall eine Aufklärungspflicht über eine Nachoperation und deren Risiken verneinte, hält sich im Rahmen der von der Rsp entwickelten Grundsätze.

 

Entscheidend ist, dass der Patient als Aufklärungsadressat die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien erfährt, die ihn in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Zustimmung zum Eingriff zu überblicken. Die Aufklärungspflicht darf dabei nicht überspannt werden.

 

Die vom Berufungsgericht als erheblich betrachtete Frage wurde in der Judikatur schon mehrfach behandelt.

 

Nach der Entscheidung 7 Ob 228/11x ist eine Ausweitung der Risikoaufklärung auf typische Risiken eines dringend erforderlichen (nachträglichen) Sanierungseingriffs bei Verwirklichung einer der Operation typischerweise anhaftenden Komplikation abzulehnen.

 

Auch die Entscheidungen 4 Ob 212/09v und 3 Ob 82/15b stützen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass grundsätzlich keine Informationspflicht über jene Komplikationen besteht, die Folgen einer aufklärungsbedürftigen Komplikation sein können.

 

Eine ähnliche Richtung ist auch aus 4 Ob 12/10h abzuleiten. Vor einem kosmetischen Eingriff ist zwar über die typischen Risiken, aber nicht schon vorab über sämtliche Therapievarianten für den Fall aufzuklären, dass sich ein solches Risiko verwirklichen sollte.

 

Keine erhebliche Rechtsfrage wurde zu 3 Ob 94/14s in der Verneinung eines Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht gesehen, wenn ein Patient darüber aufgeklärt wird, dass es bei der in Aussicht genommenen Operation zu einer Milzverletzung, allenfalls auch zu einem Totalverlust der Milz kommen kann, nicht aber darüber, welche Folgen die Entfernung der Milz nach sich ziehen könnte, zumal der klagende Patient hiezu keine Fragen gestellt hat.

 

Die Pflicht zur Aufklärung über eine allenfalls notwendige Folgebehandlung im Fall eines typischen Operationsrisikos (Wundinfektion) wurde auch in der Entscheidung 5 Ob 290/08w verneint.

 

Die Zulässigkeit der Revision kann auch nicht mit der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung 7 Ob 233/00s begründet werden. Vom OGH wurde in diesem Fall eine Verletzung der Aufklärungspflicht deshalb bejaht, weil über das Risiko von Nachblutungen nicht ausreichend, sondern nur formularmäßig bzw (mit Hinweis auf die völlige Ungefährlichkeit) verharmlosend aufgeklärt wurde. Damit lassen sich die gegenständlich festgestellten Aufklärungshandlungen der beklagten Partei nicht vergleichen. Zu einer allfälligen Pflicht zur Aufklärung über Folgeoperationen musste in der Entscheidung 7 Ob 233/00s gar nicht Stellung genommen werden.

 

Wenn das Berufungsgericht iSd Rsp davon ausgeht, dass bei einem dringenden Eingriff, der für den Patienten vitale Bedeutung hat, die Aufklärungspflicht des Arztes nicht überspannt werden darf, bedarf dies unter Berücksichtigung der im Einzellfall vorliegenden Umstände keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung. Die Operation der Klägerin stand iZm einem Tumorverdacht bzw häufigen Mandelentzündungen und war deshalb dringend und medizinisch indiziert.

 

Insoweit die Klägerin die Zulässigkeit des Rechtsmittels auf den Vorwurf stützt, es bleibe iZm der zweiten Operation offen, ob diese lege artis durchgeführt worden sei und ob diesbezüglich eine ausreichende Aufklärung stattgefunden habe, ist darauf schon im Hinblick auf das Neuerungsverbot nicht näher einzugehen. Im Verfahren erster Instanz hat die Klägerin ihre Ansprüche ausschließlich auf ein Fehlverhalten der beklagten Partei bei (bzw vor) der ersten Operation gestützt. Das korrespondiert auch mit dem Umstand, dass sich das Feststellungsbegehren ausdrücklich (nur) auf die erste Operation bezieht und die Klägerin das Leistungsbegehren aus einer fehlerhaften Behandlung ableitet.