OGH: Arzthaftung iZm Flüssigkeitsansammlung unter der zentralen Netzhaut
Das Erstgericht wird bei seiner neuerlichen Entscheidung eine Feststellung darüber zu treffen haben, ob nach dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft nach einer kompletten Abheilung einer Choriorethinopathia Centralis Serosa (CCS) bei jeder Art von Sehverschlechterung zur ehesten Klärung eines (neuerlichen) Behandlungsbedarfs eine augenärztliche Kontrolle geboten ist; trifft dies zu, dann lag beim Termin am 16. 8. 2011 eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht vor; für diesen Fall ist zu klären, ob und gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit im Fall einer beim Kläger bereits im Dezember 2011 vorgelegenen weiteren CCS und einer sofort eingeleiteten konservativen Therapie mit Augentropfen sowie einem Stressmanagment eine neuerliche gänzliche Heilung oder ein zumindest gegenüber dem nunmehrigen Zustand geringerer Visusabfall hätte erzielt werden können; gelingt dem Kläger insoweit der Kausalitätsnachweis iSd Anscheinsbeweises, könnte sich sein Schadenersatzanspruch (gegebenenfalls teilweise) als berechtigt erweisen; aus dem Unterbleiben der reduzierten photodynamischen Therapie (PDT) könnte der Kläger allenfalls dann einen Schadenersatzanspruch ableiten, wenn es sich dabei um eine im Lichte optimaler Versorgung in der damaligen Situation empfehlenswerte Methode gehandelt hat, zu der sich der Kläger unter Berücksichtigung der damit gegebenenfalls verbundenen Risiken entschlossen hätte
§§ 1295 ff ABGB
GZ 7 Ob 88/17t, 27.09.2017
OGH: Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Maßgeblich ist dafür der aktuelle anerkannte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft.
Die ärztliche Aufklärungspflicht umfasst (ua) auch die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen der Unterlassung einer Behandlung zu unterrichten. Damit der Patient sein Selbstbestimmungsrecht in zurechenbarer Eigenverantwortung wahrnehmen kann, soll ihm durch diese Aufklärung und Belehrung die sachgerechte Entscheidung darüber ermöglicht werden, ob er eine (weitere) ärztliche Behandlung durchführen lassen soll oder unterlassen kann. Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen ist erforderlich, wenn für den konkreten Behandlungsfall mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen haben. Über Außenseitermethoden muss dagegen nicht aufgeklärt werden.
Die Belehrung hat umso ausführlicher und eindringlicher zu sein, je klarer für den ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarzt in der konkreten Situation die schädlichen Folgen des Unterbleibens einer Behandlung sind und je dringlicher die weitere Behandlung aus der Sicht eines vernünftigen und einsichtigen Patienten erscheinen muss. Auf alle nur denkbaren Folgen der Nichtvornahme einer Behandlung muss der Arzt nicht hinweisen.
Ein Oberarzt der Beklagten diagnostizierte am 16. 5. 2011 beim Kläger am rechten Auge eine Choriorethinopathia Centralis Serosa (CCS). Diese war nach konservativer Behandlung bei der Kontrolle am 16. 8. 2011 abgeheilt und die Sehkraft des Klägers betrug wieder 100 %.
Schon die Frage, ob es dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht, dass nach einer solchen abgeheilten Erkrankung eine Aufklärung des Patienten dahin, es sei bei jeder Art von Sehverschlechterung zur ehesten Klärung eines (neuerlichen) Behandlungsbedarfs eine (regelmäßige) Kontrolle geboten, lässt sich aufgrund der erstgerichtlichen Feststellungen nicht eindeutig beantworten. Für eine solche Annahme könnten die Feststellungen sprechen, dass „bei Wiederauftreten von Symptomen wie Visusverschlechterung, Metamorphopsien (verzerrtes Sehen) etc (…) Kontrollen zu empfehlen (sind)“ und dass „auch nach kompletter Resorption der subretinalen Flüssigkeit (...) weitere regelmäßige Kontrollen zur Dokumentation der Rezidiven und Sehleistung sinnvoll (sind)“. Damit wird aber nicht klar, welchen Beurteilungsmaßstab das Erstgericht seiner bloßen Empfehlung zugrunde legt. Der festgestellte Zweck der „Dokumentation der Rezidiven und Sehleistung“ ist nicht eindeutig mit der gebotenen Klärung eines Behandlungsbedarfs gleichzusetzen. Das Erstgericht wird daher in seiner neuerlichen Entscheidung eine aussagekräftige Feststellung dahin zu treffen haben, ob nach dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft nach einer kompletten Abheilung einer CCS bei jeder Art von Sehverschlechterung zur ehesten Klärung eines (neuerlichen) Behandlungsbedarfs eine augenärztliche Kontrolle geboten ist und/oder welche Anweisungen sonst dem medizinischen Standard entsprechen.
Führen die Beweisergebnisse zum Schluss, dass der oben formulierte Kontrollbedarf nicht dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht, dann liegt die vom Kläger behauptete Verletzung der Aufklärungspflicht nicht vor.
Entspricht dagegen der bezeichnete Kontrollbedarf dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft, dann wäre dem Kläger diese Kontrollnotwendigkeit zu vermitteln und zur Untermauerung der Bedeutung einer solchen Kontrolle auch auf die relativ hohe Rezidivrate von ca 30 % sowie die bei mehrfachen Rezidiven bestehende Möglichkeit von dauerhaften Sehschäden hinzuweisen gewesen. Eine solche Aufklärung hätte – entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts – keine Überspannung der ärztlichen Aufklärungspflicht und keine Überforderung des Patienten dargestellt, sondern wäre jedem Durchschnittspatienten einfach erklärbar und für diesen auch leicht nachvollziehbar.
Bei Vorliegen des beschriebenen Kontrollbedarfs und ausgehend von der dann notwendigen Aufklärung wurde diese Aufklärungspflicht – entgegen dem Standpunkt des Berufungsgerichts und iSd Revisionsausführungen – bei der Kontrolle am 16. 8. 2011 verletzt. Die damals tätig gewesene Ärztin hat den Kläger nämlich lediglich darauf hingewiesen, dass „bei neuerlichen Beschwerden jederzeit eine Kontrolle oder erneute Wiedervorstellung möglich sei“. Der bloße Hinweis auf eine Kontroll“möglichkeit“ und die unterbliebene Aufklärung über vergleichsweise häufige Rezidive sowie deren mögliche Folgen, konnten keine ausreichende Grundlage dafür bilden, dem Kläger die sachgerechte Beurteilung eines bestehenden Kontroll- und gegebenenfalls Behandlungsbedarfs bei neuerlich auftretenden Sehbeschwerden mit ausreichender Deutlichkeit zu vermitteln. Dass der Kläger bei dieser Sachlage erst im Mai 2012 eine neuerliche Untersuchung durchführen ließ, begründet kein Mitverschulden.
Das Erstgericht hat festgestellt, dass sich der Kläger, wäre er im zuvor beschriebenen Sinn aufgeklärt worden, noch im Dezember 2011, also unmittelbar nach dem neuerlichen Auftreten von Sehbeeinträchtigungen, einer Augenuntersuchung unterzogen hätte. Für die Beurteilung der Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung bei der Untersuchung am 16. 8. 2011 und dem deshalb gegebenenfalls unterbliebenen früheren Behandlungsbeginn ist dann zu klären, welches nötigenfalls sofortige ärztliche Vorgehen zu welchem voraussichtlichen Therapieergebnis geführt hätte. Das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang aber lediglich Feststellungen zur Anwendung der reduzierten photodynamischen Therapie (PDT) und zu deren Erfolgswahrscheinlichkeit getroffen. Dies reicht aber für eine umfassende Klärung der Bedeutung der unzulänglichen Aufklärung nicht aus:
Erfolgt die (behauptete) Schädigung durch ein Unterlassen, so ist Kausalität dann anzunehmen, wenn die Vornahme einer bestimmten aktiven Handlung das Eintreten des Erfolgs verhindert hätte. Es muss daher versucht werden, den hypothetischen Ablauf bei Vermeiden der Unterlassung durch Setzen des gebotenen Verhaltens herauszufinden. Das gebotene Verhalten ist hinzuzudenken. Die Anforderungen an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs sind geringer als die Anforderungen an den Nachweis der Verursachung bei einer Schadenszufügung durch positives Tun. Denn die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen eben nicht stattgefunden hat.
Für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und seine Kausalität in Bezug auf den eingetretenen Schaden ist der Patient beweispflichtig, wobei hier wegen der besonderen Schwierigkeiten eines exakten Beweises an den Kausalitätsbeweis geringere Anforderungen zu stellen sind, zumal ein festgestellter schuldhafter Behandlungsfehler auf einen nachteiligen Kausalverlauf geradezu hinweist. Aus diesem Grund wird in diesem Fall der Anscheinsbeweis als ausreichend angesehen, der darauf beruht, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist. Es genügt, dass „überwiegende Gründe“ für die Verursachung des Schadens sprechen. Steht ein ärztlicher Behandlungsfehler, etwa ein das Operationsrisiko betreffender Kunstfehler, fest, reicht aber nach hRsp für den Patienten der Nachweis, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts durch den ärztlichen Kunstfehler nicht bloß unwesentlich erhöht wurde. Dies wird auch dann gelten müssen, wenn dem Patienten eine Maßnahme vorenthalten wird, die dem in Fachkreisen anerkannten Standard der besten Versorgung entspricht. Zumindest unter dieser Voraussetzung könnte die mit einer PDT-Lasertherapie verbundene Möglichkeit einer Visusverbesserung eine ausreichende Grundlage für den Kausalitätsnachweis durch den Kläger und eine dadurch ausgelöste Nachweispflicht der Beklagten sein, dass diese Maßnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zu keiner zumindest partiellen Verbesserung der Sehleistung beim Kläger geführt hätte.
Das erstmalige Auftreten der CCS wurde beim Kläger mit einer sofort eingeleiteten konservativen Behandlung, nämlich mit der Verabreichung von Augentropfen und dem Auftrag zur Vermeidung von Stress, erfolgreich behandelt. Es wird daher vom Erstgericht bei seiner neuerlichen Entscheidung iSd dargestellten Judikatur zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit im Fall einer beim Kläger bereits im Dezember 2011 vorgelegenen weiteren CCS und einer sofort eingeleiteten konservativen Therapie mit Augentropfen sowie einem Stressmanagment eine neuerliche gänzliche Heilung oder ein zumindest gegenüber dem nunmehrigen Zustand geringerer Visusabfall hätte erzielt werden können. Gelingt dem Kläger insoweit der Kausalitätsnachweis im zuvor dargestellten Sinn des Anscheinsbeweises, kann sich sein Schadenersatzanspruch (gegebenenfalls teilweise) schon deshalb als berechtigt erweisen.
Zur reduzierten photodynamischen Therapie (PDT) steht zwar fest, dass sich der Kläger am 31. 5. 2012 in Absprache mit dem Arzt nicht zu dieser Behandlungsmethode entschlossen hat. Damit allein lässt sich allerdings eine allfällige, der Beklagten zuzurechnende Aufklärungspflichtverletzung des seinerzeit tätig gewesenen Oberarztes nicht abschließend verneinen. Zunächst hat das Erstgericht diese Therapie als nicht „evidenzbasiert“ und nicht „zugelassen“ qualifiziert, womit ungeklärt ist, ob diese überhaupt als eine dem aktuellen und anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Methode angesehen werden kann oder ob es sich dabei um eine Außenseitermethode handelt. Es steht auch nicht fest, ob und gegebenenfalls welche Risiken mit dieser Therapie verbunden sind. Überdies ist es derzeit nicht absehbar wie die Notwendigkeit und die Erfolgsaussichten einer PDT nach einer gegebenenfalls fehlgeschlagenen konservativen Behandlung zu bewerten wären. Erst nach Klärung dieser Umstände kann verlässlich beurteilt werden, ob dem Kläger die photodynamische Therapie (PDT) in der seinerzeitigen Situation hätte empfohlen werden müssen. Gegebenenfalls müsste dann auch geklärt und festgestellt werden, ob sich der Kläger für diese Behandlungsmethode entschieden hätte. Erst danach ließe sich ein auf das Unterbleiben der reduzierten photodynamischen Therapie (PDT) gestützter Schadenersatzanspruch des Klägers verlässlich beurteilen.