30.10.2017 Zivilrecht

OGH: Rechtsschutzversicherung – zur Auskunftsobliegenheit nach Art 8.1.1 ARB 2007

Entgegen der Ansicht des Klägers stellt die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, den ihm bekannten, für die sachgemäße Entscheidung des Versicherers relevanten Sachverhalt diesem gegenüber wahrheitsgemäß darzulegen, um die Beurteilung der Erfolgsaussichten des zu deckenden Rechtsstreits zu ermöglichen, keine Vorwegnahme der Beweisaufnahme im Hauptprozess dar


Schlagworte: Versicherungsrecht, Rechtsschutzversicherung, Rechtsschutzdeckung, Auskunftsobliegenheit, wahrheitsgemäße Darlegung des Sachverhalts
Gesetze:

 

Art 8.1.1 ARB 2007, § 34 VersVG

 

GZ 7 Ob 110/17b, 27.09.2017

 

OGH: Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu. Der Versicherer braucht nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitheitsverletzung nachzuweisen, während es Sache des Versicherungsnehmers ist, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen habe. Dass – bei grob fahrlässiger Begehung einer Obliegenheitsverletzung – die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistungen Einfluss gehabt hat, ist vom Versicherungsnehmer im Verfahren erster Instanz zu behaupten und zu beweisen. Eine nur leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion. Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat. Dies kann für den Gesamtschaden oder einen Teil des Schadens gelingen. Nur wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sog „dolus coloratus“), ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Anspruch verwirkt.

 

Bei der Bestimmung des Art 8.1.1 ARB 2007 handelt es sich nach stRsp um eine auf die Bedürfnisse des Rechtsschutzversicherers zugeschnittene Ausformung der allgemeinen Auskunftsobliegenheit des § 34 Abs 1 VersVG, wobei der Versicherungsschutz begehrende Versicherungsnehmer diese Auskünfte von sich aus, spontan und ohne konkretes Verlangen des Versicherers zu geben hat. Durch die Aufklärung soll der Versicherer in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entscheidungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen. Es genügt, dass die begehrte Auskunft abstrakt zur Aufklärung des Schadensereignisses geeignet ist.

 

Der Kläger nahm den Versicherungsnehmer der Beklagten klageweise mit dem Vorbringen in Anspruch, letzterer habe ein Verhalten gesetzt, das die sofortige einseitige Auflösung des zwischen ihnen bestehenden Partneragenturverhältnisses gerechtfertigt habe. Das Vorbringen erfuhr Konkretisierung dahingehend, dass der Versicherungsnehmer Abschlüsse von Versicherungsverträgen fingiert habe. Für die dafür von ihm lukrierten Provisionen treffe auch den Kläger die Rückzahlungspflicht. Der Versicherungsnehmer erhielt von der Beklagten im Hinblick auf seine Verantwortung, dass dies nicht zutreffe, Rechtsschutzdeckung. Die Malversationen des Versicherungsnehmers konnten durch die Einvernahmen der entsprechenden Versicherungskunden – leicht – dargelegt werden. Das Verfahren endete letztlich mit einem – von der Beklagten nicht genehmigten – submittierenden (Prämien-)Vergleich.

 

Vor diesem Hintergrund gingen die Vorinstanzen vertretbar davon aus, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten, dadurch, dass er die ihm vorgeworfenen Malversationen verschwieg, eine Auskunftsobliegenheit verletzt habe. Dadurch habe er wesentliche Auskünfte für die sachgemäße Entscheidung der Beklagten über die Behandlung des Versicherungsfalls unterlassen, die auch abstrakt zur Aufklärung des Schadensereignisses geeignet gewesen wären. Entgegen der Ansicht des Klägers stellt die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, den ihm bekannten, für die sachgemäße Entscheidung des Versicherers relevanten Sachverhalt diesem gegenüber wahrheitsgemäß darzulegen, um die Beurteilung der Erfolgsaussichten des zu deckenden Rechtsstreits zu ermöglichen, auch keine Vorwegnahme der Beweisaufnahme im Hauptprozess dar.

 

Da feststeht, dass die entsprechenden Informationen durch den Versicherungsnehmer nicht erfolgten, um die Rechtsschutzdeckung durch die Beklagte nicht zu gefährden, bedarf die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach die Beklagte infolge der Verletzung der Obliegenheit des Art 8.1.1 ARB 2007 durch den Versicherungsnehmer mit dolus coloratus leistungsfrei sei, weshalb auch der klagende Zessionar den Anspruch nicht mit Erfolg geltend machen könne, keiner Korrektur.