30.10.2017 Zivilrecht

OGH: Verkehrssicherungspflicht / vorvertragliche Sorgfaltspflicht eines Supermarktbetreibers (hier: Ausrutschen auf – wegen Regenwetters - nassen Fliesen im Innenraum)

Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass Nässe in einem Ausmaß, das ein Aufwischen notwendig macht, einen objektiv rechtswidrigen Zustand und eine Gefahrenquelle darstellen und daher einen ausreichenden Anknüpfungspunkt für die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB bilden kann


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Verkehrssicherungspflicht, vorvertragliche Sorgfaltspflicht, Supermarkt, nasse Fliesen, Regenwetter, Beweislastumkehr, Verschulden
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1298 ABGB

 

GZ 5 Ob 89/17z, 26.09.2017

 

Die Beklagte betreibt in F***** einen Supermarkt. Der Kläger besuchte diesen Supermarkt am 17. 5. 2014 gegen 16:00 Uhr bei regnerischem Wetter und wollte dort einkaufen. Er rutschte im Eingangsbereich nach der Schmutzmatte mit dem linken Fuß auf den nassen Fliesen weg. Dabei erlitt der Kläger Verletzungen am rechten Knie. Wären die Fliesen nicht nass gewesen, wäre der Kläger nicht ausgerutscht.

 

OGH: Den Inhaber eines Geschäfts trifft gegenüber einer Person, die das Geschäft als Kunde betritt, die (vor-)vertragliche Pflicht, für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen. Der Inhaber des Geschäfts hat die seiner Verfügung unterliegenden Anlagen, die er den Kunden zur Benützung einräumt, in verkehrssicherem und gefahrlosem Zustand zu halten. Er muss alle erkennbaren Gefahrenquellen, die sich aus dem Geschäftsbetrieb ergeben, ausschalten.

 

Für die Verletzung dieser Schutzpflicht hat der Geschäftsinhaber nach Vertragsgrundsätzen einzustehen. Das Bestehen einer Sorgfaltspflicht und deren Verletzung (etwa durch Unterlassung) sowie die Kausalität der Sorgfaltsverletzung für den Schaden hat grundsätzlich der Geschädigte zu behaupten und zu beweisen. Der Geschäftsinhaber (Schädiger) wiederum muss beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft (Beweislastumkehr des § 1298 ABGB).

 

Die Beweislastumkehrung nach § 1298 ABGB betrifft (nur) den Verschuldensbereich. Sie ist nach der Rsp (aber auch) bei Nichtfeststellbarkeit eines objektiv vertragswidrigen Verhaltens des Schädigers dann anwendbar, wenn der Geschädigte beweist, dass nach aller Erfahrung die Schadensentstehung auf ein wenigstens objektiv fehlerhaftes (vertragswidriges) Verhalten des Schädigers zurückzuführen ist. Die Beweislastumkehr greift also bereits dann Platz, wenn dem Geschädigten der Nachweis eines Schadens und der Kausalität sowie zumindest eines – ein rechtswidriges Verhalten indizierendes – objektiv rechtswidrigen Zustands gelungen ist. Dem Schädiger steht dann der Entlastungsbeweis offen. Gelingt dem Verletzten der ihm obliegende Beweis des Bestehens einer Gefahrenquelle und damit einer Sorgfaltspflichtverletzung nicht, besteht keine Pflicht der beklagten Partei, den Gegenbeweis zu führen.

 

Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze der Rsp des OGH zutreffend dargestellt und auf den seiner Auffassung nach festgestellten Sachverhalt angewandt. Ausreichende Anknüpfungspunkte für eine (eingeschränkte) Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB seien im vorliegenden Fall nach diesen Grundsätzen nicht gegeben. Insbesondere ließe der bloße Umstand, dass die Bodenfliesen im Eingangsbereich bei herrschendem Regenwetter nass gewesen seien, nicht aller Erfahrung nach darauf schließen, dass die geforderte Kontroll- und Beseitigungspflicht nicht eingehalten worden sei. Denn das Erstgericht habe kein konkretes Ausmaß der Nässe im Eingangsbereich festgestellt. Eine Nässe (unbestimmten Grades) auf den Bodenfliesen unmittelbar im Eingangsbereich bei Regenwetter impliziere für sich allein weder ein abstrakt pflichtwidriges Verhalten der Beklagten bzw ihrer Mitarbeiter noch einen „objektiven Mangel“ in der Sphäre der Beklagten.

 

In der Begründung der Abänderung seines Zulässigkeitsausspruchs räumte das Berufungsgericht ausdrücklich ein, dass die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts vorzufindende Textpassage, wonach der Kläger nachgewiesen habe, dass die Fliesen im Eingangsbereich des Supermarkts „so nass waren, dass aufgewischt werden musste“, (doch nicht als rechtliche Schlussfolgerung, sondern) als disloziert getroffene Tatsachenfeststellung zu qualifizieren sein könnte. In diesem Fall wäre ein ausreichender Anknüpfungspunkt für die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB zu bejahen gewesen. Möglicherweise wäre aber auch noch eine nähere Präzisierung der Feststellungen erforderlich und das Ersturteil wegen eines sekundären Feststellungsmangels aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen gewesen.

 

Die Zuordnung einzelner Teile eines Urteils zu den Feststellungen hängt nicht vom Aufbau des Urteils ab. Auch in der rechtlichen Beurteilung enthaltene, aber eindeutig dem Tatsachenbereich zuzuordnende Ausführungen sind als Tatsachenfeststellungen zu behandeln. Gleiches gilt für Schlussfolgerungen tatsächlicher Art in der Beweiswürdigung. Für die Beurteilung, ob es sich bei außerhalb der Feststellung vorzufindenden Urteilsausführungen um Tatsachenfeststellungen handelt, kommt es auf die Qualität der Aussage in den Entscheidungsgründen eines Urteils an. Hier traf das Erstgericht zunächst – im Urteilsabschnitt „Feststellungen“ – die Feststellung, dass es „beim Unfall [...] nach der Schmutzmatte so nass“ gewesen sei, dass der Marktleiter eine Mitarbeiterin „beauftragte, einen Kübel und einen Fetzen zum Aufwischen zu bringen“. In der rechtlichen Beurteilung führte der Erstrichter aus, der Kläger habe nachgewiesen, dass bei dem Unfall die Fliesen im Eingangsbereich „so nass waren, dass aufgewischt werden musste“. Diese Formulierung, worauf das Berufungsgericht hinweist, mag absolut betrachtet noch „eher“ eine rechtliche Schlussfolgerung implizieren, weil das Wort „müssen“ auf eine rechtliche Verpflichtung hindeutet. Gegen dieses Verständnis sprechen hier aber nicht nur die relevanten Umstände, der Erstrichter hat vielmehr den Tatsachencharakter dieser (versuchten) Beschreibung des Ausmaßes der Nässe auch im Rahmen seiner Beweiswürdigung klarer zum Ausdruck gebracht. Nach der Darstellung der einschlägigen Beweisergebnisse hielt dieser nämlich abschließend fest, dass der Umstand, dass der Marktleiter sofort eine Mitarbeiterin damit beauftragt habe, einen Kübel und einen Fetzen zum Aufwischen zu bringen, „zeigt, dass die Fliesen zumindest so nass waren, dass ein Aufwischen notwendig war“. Diese Ausführung (und damit auch die korrespondierende Ausführung in der rechtlichen Beurteilung) ist dem Tatsachenbereich zuzuordnen und als Tatsachenfeststellung zu behandeln.

 

Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass Nässe in einem Ausmaß, das ein Aufwischen notwendig macht, iSd dargestellten Grundsätze der Rsp einen objektiv rechtswidrigen Zustand und eine Gefahrenquelle darstellen und daher einen ausreichenden Anknüpfungspunkt für die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB bilden kann. Auch der Auffassung des Berufungsgerichts, dass (der Versuch) eine(r) Präzisierung dieser entscheidungswesentlichen Tatfrage erforderlich sein und eine Ergänzung des Beweisverfahrens notwendig machen könnte, ist nicht entgegenzutreten. Diese Beurteilung obliegt nicht dem OGH, zumal dieser nicht Tatsacheninstanz ist.

 

Ob das Klagebegehren teilweise berechtigt ist oder nicht, hängt aber jedenfalls davon ab, ob das Berufungsgericht diese in der Berufung bekämpften erstgerichtlichen Feststellungen übernimmt oder nach Beweiswiederholung die von der Beklagten begehrten Ersatzfeststellungen trifft. Mit der (zugleich auch als Verfahrensrüge bezeichneten) Beweisrüge in der Berufung setzte sich das Berufungsgericht aber nicht auseinander, sodass sich die Ergänzung des Berufungsverfahrens als erforderlich erweist.