19.08.2017 Verfahrensrecht

VwGH: Entscheidung von einem nach der Geschäftsverteilung des BVwG hierfür nicht zuständigen Richter – "Heilung" der Unzuständigkeit gem § 6 Abs 2 der Geschäftsverteilung des BVwG?

§ 6 Abs 2 der Geschäftsverteilung des BVwG steht der Geltendmachung eines dem BVwG unterlaufenen Verstoßes gegen die Geschäftsverteilung nicht entgegen


Schlagworte: Verwaltungsgericht, Geschäftsverteilung, Entscheidung durch unzuständigen Richter, keine Heilung
Gesetze:

 

Art 87 B-VG, Art 135 B-VG, Art 83 B-VG, § 6 der Geschäftsverteilung des BVwG, § 17 Geschäftsverteilung BVwG

 

GZ Ra 2017/21/0032, 29.06.2017

 

VwGH: Der dem (für die "ordentliche" Gerichtsbarkeit geltenden) Art 87 Abs 3 B-VG nachgebildete Art 135 Abs 3 B-VG statuiert auch für die Verwaltungsgerichte den "Grundsatz der festen Geschäftsverteilung". Diese Einrichtung steht (ua) auch im engen Zusammenhang mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter iSd Art 83 Abs 2 B-VG. Im Geltungsbereich des verfassungsgesetzlich geregelten Prinzips der festen Geschäftsverteilung bedeutet diese Garantie auch das Recht auf eine Entscheidung durch den gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter; in diesem Sinne handelt es sich bei der Geschäftsverteilung um eine zuständigkeitsbegründende Rechtsvorschrift.

 

Entscheidet daher ein nach der Geschäftsverteilung des BVwG nicht zuständiger (Einzel-)Richter, so führt dies im Beschwerdeverfahren vor dem VfGH zur Aufhebung der Entscheidung wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und im Revisionsverfahren vor dem VwGH zur Aufhebung der Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des BVwG.

 

§ 6 Abs 2 der Geschäftsverteilung des BVwG normiert, dass - von hier nicht in Betracht kommenden zwingenden Fällen abgesehen - die Richterin oder der Richter, deren/dessen Gerichtsabteilung die Rechtssache zugewiesen worden ist, für die betreffende Rechtssache zuständig wird, wenn sie oder er einen außenwirksamen Akt setzt oder nicht rechtzeitig eine Unzuständigkeitsanzeige erhebt. § 6 Abs 4 der Geschäftsverteilung des BVwG bestimmt in diesem Zusammenhang ergänzend, "die Wahrnehmung der Unzuständigkeit der Richterinnen und Richter und das weitere Verfahren richtet sich nach den diesbezüglichen Bestimmungen der Geschäftsordnung des BVwG". Diesbezüglich sieht die Geschäftsordnung im § 17 Abs 2 vor, dass eine Unzuständigkeitsanzeige iSd Abs 1 bei "Eilsachen" innerhalb von zwei Arbeitstagen, andernfalls innerhalb von zwei Wochen nach erfolgter Zuweisung oder nach erlangter Kenntnis des nachträglichen Entstehens einer Unzuständigkeit zu erfolgen habe. Nach Ablauf dieser Frist habe eine neuerliche Zuweisung der Rechtssache wegen Unzuständigkeit nur dann zu erfolgen, wenn dies gesetzlich zwingend vorgesehen sei.

 

Diese Regelungen können aber vor dem Hintergrund des der Partei zustehenden Rechts auf eine Entscheidung durch den gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter verfassungskonform nicht auch dahin verstanden werden, dass es der Partei infolge der Unterlassung einer rechtzeitigen Unzuständigkeitsanzeige durch den unzuständigen Richter des BVwG verwehrt wäre, den Verstoß gegen die Geschäftsverteilung im Verfahren vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts geltend zu machen. Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung bedeutet nämlich, dass die Verteilung der Geschäfte auf die einzelnen Spruchkörper durch Regeln, nämlich durch den Beschluss über die Geschäftsverteilung, von vornherein feststehen muss, dass in der Folge niemand Einfluss auf die Verteilung der Geschäfte nehmen kann und dass ferner die Einhaltung dieser Regeln nachprüfbar sein muss. Ausgenommen sind lediglich die in Art 87 Abs 3 zweiter Satz B-VG vorgesehenen besonderen Fälle der Verhinderung oder Überlastung eines Richters; Letzteres gilt sinngemäß auch für Art 135 Abs 3 B-VG. Läge den angeführten Regelungen der Geschäftsverteilung aber das Verständnis zugrunde, dass durch ein Verschweigen des unzuständigen Richters dessen Zuständigkeit auch für die Partei bindend bewirkt werde, dann liefe das den Zwecken der festen Geschäftsverteilung zuwider. Es wäre nämlich weder eine verpönte (allenfalls im Einverständnis mit dem unzuständigen Richter) mögliche Einflussnahme auf die Zuteilung von Rechtssachen ausgeschlossen, noch wäre die Einhaltung der Regeln über die Geschäftsverteilung wirksam überprüfbar. Im Übrigen läge ein Widerspruch zu Art 135 Abs 3 B-VG vor, weil im Ergebnis dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richter des BVwG - ohne dessen Mitwirkung und nicht durch das zuständige Organ - eine ihm zufallende Rechtssache ohne Vorliegen der Voraussetzungen der genannten Verfassungsbestimmung abgenommen wird. Demnach kann eine Heilung des Mangels einer sich aus der Geschäftsverteilung ergebenden Unzuständigkeit aus den Gründen des § 6 Abs 2 gegenüber der Partei, wofür es auch keine gesetzliche Deckung gibt, nicht eintreten. Die genannte Bestimmung der Geschäftsverteilung steht daher der Geltendmachung eines dem BVwG unterlaufenen Verstoßes gegen die Geschäftsverteilung nicht entgegen.