OGH: Zur Frage der einredeweisen Geltendmachung des Aufrechnungsverbots nach § 1440 S 2 ABGB
Das Aufrechnungsverbot des § 1440 S 2 ABGB kann bei entsprechendem Vorbringen auch ohne ausdrücklichen Einwand berücksichtigt werden
§ 1440 ABGB
GZ 9 Ob 31/17z, 28.06.2017
OGH: Inhalt der prozessualen Aufrechnungseinrede ist die Einwendung einer Gegenforderung des Beklagten mit dem Ziel, die Aufrechnung mit der Klageforderung im Wege einer Gerichtsentscheidung über Bestand und Aufrechenbarkeit der Gegenforderung herbeizuführen. Eine prozessuale Aufrechnungseinrede kann nur Erfolg haben, wenn die Aufrechnung nach materiellem Recht zulässig ist. § 1440 S 2 ABGB beinhaltet ein Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbot für Fälle, in denen etwas zurückzustellen ist, das dem Berechtigten eigenmächtig oder listig entzogen wurde, also für Sonderfälle vorwerfbarer Handlungen. Dass die hier erfolgten Kontobehebungen von diesem Aufrechnungsverbot erfasst werden, wird vom Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen.
Nach dem Rechtssatz RIS-Justiz RS0033798 ist das Aufrechnungsverbot des § 1440 ABGB nur über Einrede zu berücksichtigen. Den vier diesem Rechtssatz zugrunde liegenden Entscheidungen lagen jeweils Konstellationen zugrunde, in denen die Unzulässigkeit der Aufrechnung im erstinstanzlichen Verfahren in keiner Weise angesprochen wurde. In der Entscheidung 1 Ob 54/60 wurde das Einverständnis des Klägers zur Aufrechnung bzw Verrechnung der Ansprüche für den Fall, dass die Kostenforderung des Beklagen zu Recht bestünde, als Verzicht auf die allfällige Einwendung eines Aufrechnungsverbots gesehen. In den Entscheidungen 1 Ob 615/93, 3 Ob 315/00w und 7 Ob 87/12p wurden die Gegenforderungen im erstinstanzlichen Verfahren nur inhaltlich bestritten; die jeweilige Berufung auf die Unzulässigkeit einer Aufrechnung nach § 1440 S 2 ABGB erfolgte erstmals in den Berufungen bzw im an den OGH gerichteten Rekurs. Zu 1 Ob 615/93 wurde dazu festgehalten, „selbst ein Sachvorbringen der Klägerin, woraus sich diese Einrede mit hinreichender Deutlichkeit ergeben könnte, liegt nicht vor“. Auch in der Entscheidung 7 Ob 87/12p wurde die Notwendigkeit eines diesbezüglichen Parteienvorbringens der Klagsseite erwähnt.
Aus den Entscheidungen 5 Ob 535/95, 5 Ob 127/06x ist für den Beklagten nichts gewonnen, weil darin für die Berücksichtigung des Kompensationsverbots bei Rückforderung einer verbotenen Ablöse bereits die Berufung auf § 27 Abs 1 Z 1 MRG als ausreichend angesehen wurde. Ein expliziter Einwand des Kompensationsverbots wurde als entbehrlich erachtet. Die Entscheidung 4 Ob 9/07p ist insofern nicht einschlägig, als der beklagte Rechtsvertreter im Zuge des Verfahrens Geldbeträge gerichtlich hinterlegt hatte, womit das Aufrechnungsverbot des § 19 Abs 3 RAO einer prozessualen Aufrechnungseinrede des Beklagten nicht mehr im Wege stand. Zusammenfassend geht aus dieser Rsp hervor, dass das Aufrechnungsverbot des § 1440 S 2 ABGB bei entsprechendem Vorbringen auch ohne ausdrücklichen Einwand berücksichtigt werden kann.
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren die Gegenforderung des Beklagten nicht nur inhaltlich bestritten, sondern auch die Unzulässigkeit ihrer Geltendmachung wegen der widerrechtlichen Behebung des Klagsbetrags vom Konto der Verstorbenen eingewandt. Wenn das Berufungsgericht der Ansicht war, dass die Klägerin damit die für die Anwendung des § 1440 S 2 ABGB notwendigen Tatsachengrundlagen ausreichend vorgebracht hat, so ist dies nicht weiter zu beanstanden. Dass die Bestimmung von den Vorinstanzen geprüft und ihre Anwendung hier auch bejaht wurde, ist danach nicht weiter korrekturbedürftig.